Das Bundeskartellamt verfolgt den Verdacht, Hersteller und Verbände der Wärmedämm-Industrie könnten schon seit 1998 illegale Preisabsprachen getroffen haben. Bauherren hätten dann jahrelang zu viel gezahlt.
Preisabsprachen:
Kartell-Verdacht im Milliarden-Business Wärmedämmung
WELT Michael Fabricius – 3.11.2014
„Die energetische Modernisierung ist ein Milliardengeschäft. Angesichts vieler Millionen Quadratmeter ungedämmter Fassadenfläche an deutschen Wohngebäuden stehen jedes Jahr Erlöse in zweistelliger Euro-Milliardenhöhe in Aussicht, Tendenz steigend. Unstrittig ist, dass sich vor allem bei älteren Häusern jede Menge Heizkosten durch eine zusätzliche Dämmschicht einsparen lassen. Allerdings tobt seit Monaten zwischen Herstellern, Verbänden, Architekten und Bauingenieuren ein Streit darüber, inwieweit Dämmen um jeden Preis sinnvoll ist und sich auch tatsächlich für Bauherren rechnet.“
Die neuen Untersuchungen des Bundeskartellamtes werden nicht nur das heikle System aus Förderbanken, Beratern, Politik und Gesetzen durchleuchten, sondern auch einen „bauphysikalisch-industriellen Komplex“ untersuchen müssen.
Rückblick ins Jahr 1982 erforderlich
Um zu verstehen, wie die Wärmedämm-Industrie eine systematische „Absatzförderung und „Absatznormung“ in der Bauwirtschaft vorangetrieben hat, muß man in das Jahr 1982 zurückblicken. Damals im Herbst kam es zu einem Regierungswechsel in der Bundesrepublik Deutschland, der“Bonner Wende“, als die sozialliberale Koalition beendet wurde.
In der Folge wechselte die politische Zuständigkeit des damaligen Bundesinnenministers Gerhard Baum für das am 22. Juli 1974 gegründete Umweltbundesamt, in dem eine Fachabteilung viele technische und praktische Kenntnisse und Vorhaben zum „Ökologischen Bauen“ und zum „Ökologischen Stadtumbau“ entwickelt und in Gang gesetzt hatte. ÖKOTOP in Berlin, Modellvorhaben Nürnberg-Gostenhof und viele andere sind zu nennen.
Die neue Bundesregierung unter Kanzer Dr. Helmut Kohl (CDU) und Hans-Dietrich Genscher (FDP) verlagerte die Zuständigkeiten in das damalige Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau unter Minister Oscar Schneider (CSU), der bis zum Wendejahr 1989 Bauminister blieb.
Unter seiner Ägide wurde die Baupolitik neu geordnet, und in der bauphysikalischen Bauforschung wurde die methodische Grundlage für unsere heutige „Baubedarfs-Physik“ gelegt, die nicht etwa von „Ist-Werten“ und „Meßwerten“, sondern von „Bedarfs- und Sollwerten“ ausgeht, die per „Modellrechnung“ ermittelt wurden, und in Gesetze und Förderrichtlinien gegossen wurden.
ENEV, energetische Sanierung und KfW-Förderkredite fußen heute auf dieser „Baubedarfs-Physik“, das eher ein „Beschäftigungsprogramm“ als ein „Energieeinsparungs-Programm“ ist.
Systemfehler in der Baubedarfs-Physik
Der Systemfehler in der „Energie-Bedarfsberechnung“ kommt zustande, weil sich Bewohner von Häusern im Verhalten einfach nicht an die Entwurfsregeln halten wollen und nicht an Energiebedarfsbemessungen anpassen wollen.
Dies geschieht in recht unterschiedlicher Weise, je nach Gebäudegröße, Baualter und Bauweise – und Wohnungsgröße.
Während bei typischen Energiespar-Einfamilienhäusern Modellrechnung und Wohnverhalten nahezu deckungsgleich und „entwurfsgerecht“ stimmig sind, machen Altbauten, speziell Berliner Gründerzeitbauten und Neubauten größere Probleme.
Berliner Gründerzeitbauten
Werden Berliner Gründerzeitbauten nach ENEV-Regeln gedämmt, und 100% der Gebäudehülle wärmegedämmt, und der Energiebedarf mit Komfort-Temperatur bemessen, so geschieht etas Ungeheuerliches:
Der Energiebedarf steigt, und zwar um ca. 20-40%, weil die energetische Sanierung eine „Komfortausweitung“ auf 100% der Grundfläche mit sich bringt, und zudem auch noch mehr Nutzflächen im Gebäude bis ins Kellergeschoß und Tiefgarage beheizt.
Es ist also kein Wunder, wenn der Primärenergiebedarf der Bundesrepublik nicht sinkt, obwohl in massigen Umfang Wärmedämmungen auf Kredit verbaut werden.
Sparsamkeit im Schlafzimmer
Bei Neubauten der 60er Jahre bis ca. 2006 kommen unwägbare „Lüftungsprobleme“ zum Tragen, denn der Mensch braucht in der Nacht frische Luft, und würde in einer CO2-Abluftwolke der ausgeatmeten Luft geradezu ersticken. Die meisten Menschen bekommen einen dicken Kopf, und wachen rechtzeitig auf. Das Fenster wird aufgerissen, und manche Schlaf-Apnoe hat eher mit mangelnder Luftzirkulation im Schlafzimmer, als mit fehlender Umluft zu tun.
Wird vernünftigerweise die Heizung im Schlafzimmer heruntergeregelt, fällt leider die natürliche Konvektion im Schlafzimmer aus. Um nicht alle drei-fünf Stunden aufstehen zu müssen, und nach „Lüftungsanleitung“ stoßzulüften, ist es zur Regel geworden, die Fenster nachts zu öffnen, bzw. einen Spalt zu öffnen.
Das Ergebnis: trotz Wärmedämmung wird keine Energie gespart. Dicht schließende Energiesparfenster sorgen dafür, dass jeder vermünftige Mensch sich ständige Frischluft in der Nacht verschafft.
Deutschland: ein Schimmelpilzbiotop
Mit jeder neuen ENEV-Fassung wurde auch eine immer größere Zahl von Schimmelpilz-Gutachtern in Arbeit versetzt. Der Schimmelpilz-Gutachter ist heute so etwas wie ein notwendiger Fachberuf geworden, der als „Arbeitsmarkt-Effekt“ der konzeptionell falsch angelegten Energiewende im Bauwesen zutage tritt. Dessen Existenzberechtigung leitet sich vor allem aus dem verbreiteten Unwillen her, wärmegedämmte Schlafzimmer nicht beheizen zu wollen, was wegen des typischen Bettzeugs auch einigermaßen sinnvoll ist – im Sinne der Baubedarfs-Physik aber zu Tauwasserbildung und Schimmelbefall führt.
In manchen Wohnsiedlungen gehört der Schimmelpilzgutachter neben dem Bau- und Mietrechtsanwalt zum ständige Begleiter von Miet- und Kündigungsklagen. Man kann hier schon die Gefahr einer „dritten Miete“ ausmachen, die für Mieter und Vermieter zum Kostenfaktor auswächst.
Auswege gesucht
Die „Baubedarfs-Physik“ sorgt heute für eine bürokratische Begründung, um Förderkredite zu bekommen, um damit völlig zweckwidrige „Komfortverbesserungen“ zu finanzieren und gleichzeitig auch unwirtschaftliche Dämm-Maßnahmen zu finanzieren.
Eine Dachdämmung und eine Kellerdämmung machen überall Sinn – jedoch ist eine teure Fassadendämmung hoch problematisch.
Nimmt man den Anteil der Wärmeverluste über die Fassade, dürfte der Kostenanteil für die fassadenseitige Dämmung nur bei 18-20 % der Kosten einer energetischen Sanierung liegen. Es sind jedoch viel höhere Kosten – die Mieten in exorbitante Höhe treiben.
In der Lebensrealität von Berliner Gründerzeitwohnungen wären Fassadendämmungen verzichtbar – es gibt auch genug gewohnte und gelebte Beispiele, die ohne Fassadendämmung Enev-Anforderungen einhalten können.
Tiefenprüfung von Politik und Bundeskartellamt
Um den Wärme-Dämmwahn auf die Spur zu kommen, müssen Politik, Bau-Politik und Wohnungswirtschaft auf eine Tiefenprüfung des Bundeskartellamtes drängen! Diese Tiefenprüfung sollte im Bauministerium beginnen, und alle Verästelungen prüfen, in denen die „Baubedarfs-Physik“ auf Betreiben der Industrie (entgegen den Normentraditionen der Deutschen Industrienormung) „Bedarfs-Werte“ statt überprüfbarer Ist- und Meßwerte in Gesetze und Förderrichtlinien eingepflegt hat.