Freitag, 19. April 2024
Home > Slider > Wirtschaftsförderung oder
Export- & Kooperationsförderung?

Wirtschaftsförderung oder
Export- & Kooperationsförderung?

Wirtschaftsförderung Berlin

/// Kolumne /// – Berlins neue Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/Grüne) will die Berliner Wirtschaftsförderung neu ordnen. Strukturen sollen verändert, vereinfacht und modernisiert werden. Die Politik und das Abgeordnetenhaus sollen mehr Einblick erhalten. Mehr Transparenz, mehr Haushaltswahrheit und Klarheit sollen hergestellt werden.

Die bisherige gemischte Eigentümerstruktur aus IBB (ca. ein Drittel), der Technologiestiftung Berlin, dem Firmen-Netzwerk „Partner für Berlin“, den Unternehmerverbänden Berlin-Brandenburg, Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer (IHK) kann aufgrund der vielen Partner-Perspektiven kein zukunftsweisendes Modell mehr sein – obwohl diese Struktur sehr wohl erfolgreich war.

Veränderungen sind geboten, weil es große weltwirtschaftliche Veränderungen gibt. Decarbonisierung und Digitalisierung setzen langfristige Trends.

Die weltweite Urbanisierung sorgt vor allem für großes Wachstum in vielen Bau- und Infrastrukturbranchen und geben mit dem Leitbild der „Smart Cities“ völlig neue Trends vor. Roboterisierung und Mensch-Roboter-Kollaboration werden ganze Technologiebranchen und Produktionsweisen verändern. Die Autoindustrie befindet sich mitten im Umbruch zur Elektromobilität. Sharing-Ökonomien und nachhaltige Lebensweisen beeinflussen längst auch das Produktdesign. Bei hochwertigen Infrastruktursystemen setzen sich immer mehr am Lebenszyklus orientierte Betreibermodelle durch.

Die wachsenden neuen Märkte in Afrika, Indien und ganz Asien sorgen vor allem für neue weltweite interkulturelle Kooperationen, die künftig auf fairen und komparativen Handelsaustausch und Freihandel gegründet werden. Die Initiative Make India Mittelstand (MIIM) zeigt auch, wie Deutschlands duales Ausbildungssystem und mittelständische Wirtschaft vom Parterland Indien geschätzt werden.

Weltweites Wirtschaftswachstum – Klimaanpassung – Interkultur

Die nahe Zukunft, absehbare weltweite Entwicklungen und neue weltweite Märkte stellen heute gänzlich neue Herausforderungen und Chancen bereit, auf die sich die Berliner Politik und alle wirtschaftlichen Akteure einstellen müssen. Über acht Milliarden Menschen müssen 2030 einen angemessenen Lebensstandard erreichen – und sichere Städte und Wasserversorgungen haben.
Die Weltwirtschaft wächst, ganze Städte müssen neu gebaut werden. Weltweit sind mehr als 150 Smart Cities im Aufbau. Verkehrs- und Infrastruktursysteme müssen neu gebaut werden. Elektrische Netze werden zu Smart Grids, die mit erneuerbaren Energien versorgt werden.
Über 460 Küstenstädte müssen in Küstenschutz investieren, und Menschen aus vom Meeresanstieg bedrohten Bereichen umsiedel. Die Sicherung der Wasserversorgung, Meerwasser-Entsalzung und Wasser- und Abwasserreinigung machen gewaltige Investitionen erforderlich. Dazu kommen Automatisierung von Produktion, Mensch-Roboter-Zusammenarbeit in Fabriken, Logistik und Dienstleistungen und Nahrungsmittelproduktion. Ein mittelbares Wachstum entsteht im Tourismus, Kultur, Sport und Freizeitaktivitäten.

Gleichzeitig sinkt der Anteil der deutschen Fachkräfte in fast allen Zukunftsbranchen. Indien, China und andere Länder bilden inzwischen jedes Jahr mehr Fachkräfte aus, als der Branchenbesatz ganzer Branchen in Deutschland umfasst. Künftige Startups in Berlin werden sich daher noch auf ganz neue „Marketing-Fragen“ und Skalierungsprobleme einrichten müssen.

Absehbar: Nachhaltiger Erfolg kann künftig auf Dauer nur gemeinsam in fairen, komparativen internationalen Kooperationen erzielt werden, die auch bilaterale Unterstützung genießen.

Wirtschaftsförderung oder künftig auch „smarte“ Export- & Kooperationsförderung?

Die künftige Perspektive der Berliner Wirtschaftsförderung muss sich nicht nur auf die ureigenen Gebiete der Standortförderung, Gründungs- und Ansiedlungsförderung ausrichten, sondern noch viel stärker als bisher auf weltwirtschaftliche Interaktionen und Kooperationen ausrichten.

Wie es geht, zeigt die Berliner Messe mit ihren Leitmessen. Vorbildlich ist die Tourismuswirtschaft, die mit der einstigen „Internationalen Tourismusbörse Berlin“ heute ein Leitsystem der globalen Tourismusindustrie geschaffen hat, mit den Branchenmessen ITB Asia und ITB China und BITB India.

Der weltweite Trend zur Urbanisierung und zu intelligenten Systemen trifft auf mehrere strategisch Engpässe:

– neben Wettbewerb und Konkurrenz prägen Interoperabilität und Synergien die künftige Entwicklung,
– Systemführer, Systemintegratoren und Systembetreiber werden zu Schlüsselressourcen der Wirtschaft,
– Marktplattformen und Netzwerke werden immer wichtiger für Markterfolge,
– Kollaboration und transnationale Kooperationen werden zu Wachstums-Motoren.

Die Berliner Politik, die wirtschaftlichen Akteure und Wirtschaftsverbände müssen die altgewohnten Konzepte der Wirtschaftsförderung selbst innovieren, erweitern und international ausweiten.

Statt Standortförderung muß in transnationalen Projekten und Kooperationen gedacht werden. Pilotprojekte sollten gleichzeitig in mehreren Ländern und Städten starten, um von Beginn an Marktbeziehungen zu schaffen.

Finanzierungsstrukturen müssen angepasst werden, und insgesamt innovativer werden. Wirtschaftsförderung sollte nicht nur Investitionsförderung im Blick haben, sondern auch EU-weite und länderübergreifende Markteintrittsbarrieren überwinden helfen.

Bausteine der Smart City
Bausteine der Smart City Digitalisierung in allen Bereichen einer Stadt – Quelle: Projektgruppe Smart Cities / Regions

System-Fähigkeiten und Schlüssel für Wachstumsfelder und -märkte

Das Gründungsgeschehen in Berlin und Deutschland ist auf „spitze Technologie-Bereiche“, „Internet-Innovationen“ und IoT-Technologien fokussiert. Die großen weltwirtschaftlichen Potentiale liegen jedoch in den „Gründerzeit-Technologien und Infrastruktur-Bereichen“ im Städtebau. Nur wenige Unternehmen aus Deutschland spielen in dieser Liga mit.

Die Deutsche Bahn AG ist z.B.erfolgreich als internationaler Investor und Betreiber für den Aufbau der Quatar Railways – und verfügt über den personellen und finanziellen Spielraum, um in Zusammenarbeit mit deutschen und lokalen Unternehmen ganze Schienen- und Verkehrsnetze und Logistikzentren neu zu bauen.

Doch es gibt daneben außer SIEMENS und HOCHTIEF nur wenige Unternehmen, die ganze Stadtteile, Flughäfen, Häfen, Offshore-Windparke, Stromnetze und Stadteile neu bauen und zwischenfinanzieren können.

Klassische Berliner Startups und deutsche Mittelständler erreichen in der Regel gar nicht die Unternehmensgrößen, um sich in der laufenden neuen „Weltgründerzeit“ behaupten zu können.

Der absehbare Engpass: Herausforderungen und Projektgrößen wachsen, die klassische deutsche Arbeitsteilung zwischen Auftraggeber, mittelständischen Unternehmen und Banken ist kaum skalierbar, weil in Branchen und Gewerken gebunden. Der Berliner Maßstab ist zu klein, zu langsam und oft zu speziell, um beim neuen weltweiten Städtebau mitbestimmen zu können.

Doch gerade in Berlin ist das Wissen aus der eigenen Gründerzeit vorhanden, Schlüsseltechnologien für den Neubau ganzer Städte und Infrastrukturen sind hier in Berlin vorhanden, sie müssen aber zu neuen komplexen Projekten und wirtschaftlichen Angebotpaketen gebündelt werden.

Neben Technologie-Führerschaft, Innovationskompetenzen und schnell skalierbaren Internettechnologien werden ganz neue Fähigkeiten benötigt, um Projektentwicklung und Planung, Systementwicklung, -führung und Systembetriebe zu beherrschen. Nicht nur Tief- und Erdbau, Beton und Stahlbeton müssen beherscht werden, sondern auch der Aufbau komplexer und intelligenter Verkehrs- und Versorgungs-Systeme. Vor allem aber müssen „smart Cities“ auch übergreifend geplant werden, um überhaupt funktionsfähige Ergebnisse zu erzielen.

Brauchen wir den SmartCity-Generalunternehmer?

Die chinesische Geisterstadt Ordos in der inneren Mongolei und der Flughafen BER sind Menetekel, die bessere Strategien und bessere Kooperation anmahnen. Auch Olympia-Projekte in Athen und in Rio de Janeiro sind Mahnmale unzureichender Planung, Organisation und Zusammenarbeit.

Weltweit werden gigantische Projekte in den Sand gesetzt und fehlgeplant. Knappe Ressourcen werden verbaut, obwohl sie auf der ganzen Welt knapp werden. Schon beim Sand fängt es an! Und bei Energie, Nahrung und Wasser und atembarer sauberer Luft hört es auf.

Die Wirtschaftsförderung in Berlin muss auch diese weltweiten Problemlagen verstehen, und als Markt begreifen lernen. Doch dazu braucht es Kenntnisse vor Ort, Partner vor Ort, die noch vor der Entwicklung der Problemlösung mitreden müssen. Ideen und Innvationen und Kompetenzen entstehen damit auch in großer Zahl vor Ort. „Berlin als Zentrum für XYZ“ – das hat als Phrase längst ausgedient!

Der Bau des Terminals am Flughafen BER ist zum Menetekel geworden, wohin es führt, wenn beherrschbare Bautechnologien und Gebäudetechnologien nicht mit ausreichenden „Systemkompetenzen“ gebaut werden, wenn „falsche politische und betriebswirtschaftliche Managementphilosophien“ auf schlichte bauphysikalische und dimensionale Problemlagen treffen, und der Wert von Bauvorlageberechtigungen und Ingenieurwissen über ein Jahrzehnt lang sträflich unterschätzt wird.

Planungsdisziplin, transdisziplinäre Fachkompetenzen, Projektorganisation und Führungstärke im komplexen Umfeld sind unerlässliche Voraussetzungen für „SmartCity-Projekte“ und erfolgreiche Systemführerschaften.

Schon heute ist dies ein weltweiter Engpass, der nur durch gemeinsame Qualifizierung aller Partner lösbar wird. Vor allem interkulturelle Kooperation und Kollaboration sowie interkulturelle Qualitätssicherung werden zu Voraussetzungen für gemeinsames Wachstum mit Partnern und Systempartnern vor Ort.

Erfolgreiche Großprojekte wie der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Adlershof (WISTA) mit 4,2 Quadratkilometern sind in Berlin in 15 Jahren entstanden. In Indien, China und Afrika stehen ähnliche Projekte heute in Ausschreibungsdatenbanken, wobei im Maßstab 30-40 Quadratkilometer ausgeschrieben wird. Die Projekte sollen bis 2020, 2015 und 2030 realisiert sein.

Es ist eine nie dagewesene Herausforderung, weil in Städten, Gebäuden und Systemen auch der kleinste Baustein, und die Pleite des kleinsten Projektpartners zum Versagen von Gesamtprojekten führen kann.

Wirtschaftsförderung, Export- & Kooperationsförderung 5.0

Statt der guten alten „Wirtschaftsstandortförderung“ und „Berlin-Förderung“ muss in Fähigkeiten zur transnationalen Kooperation und interkulturellen Kollaboration investiert werden. Nicht nur Köpfe müssen gefördert werden, sondern wirtschaftliche „Organisationsformen der Kollaboration“ und „Marktfelder“.

Das erfolgreiche Konzept der „Pop-Up-Stores“ von Partner für Berlin zeigte auch auf: man kann ganze Marktfelder fördern, die mit Berlin und der Design-, Kreativ- und Kulturwirtschaft und Kunst in der Stadt zu tun haben. Lässt sich das Modell auch auf andere Branche und Bereiche ausweiten?

Die Messe Berlin zeigt, wie weltweit im Bereich der Tourismuswirtschaft zusammen gearbeitet und gemeinsam Wachstum und Qualität gesichert werden können. Die inzwischen von Microsoft übernommene Plattform Researchgate begründet ein Modell einer weltweiten Plattform-Ökonomie für Forschung und Entwicklung, die sich in zehntausende Projekte auffächert, und Laborgerätehersteller glücklich macht.

Große weltweit tätige Architekturbüros und Planungsgesellschaften haben die Fähigkeiten ausgebildet, um Großprojekte entwickeln, arbeitsteilig bauen und betreiben zu können. Doch die Fachkräftebasis dieser Büros reicht heute weltweit bei weitem nicht aus. Die kommunikativen und kollaborativen Ressourcen und Fähigkeiten müssen weltweit systematisch entwickelt und gefördert werden.

Fachkräfte fehlen aber auch in Regierungen, Banken, in Kommunen und staatlichen Behörden und Betrieben als kompetente Ansprechpartner, die die Bedingungen für den Erfolg von neuen Projekten absichern.

Noch ein Beispiel aus Berlin: die Firma WALL (heute WALL DECAUX) hat mit den innovativen Werbesystemen und City-Toiletten ein ganzes Feld von „Smart-City-Technologien“ eröffnet, das bisher als „Stadtmöblierung“ mißverstanden wird. Tatsächlich ist hier ein Modell für viele weitere „Smart-City-Systeme“ entstanden, das Potential für viel weitergehende Innovationen von Stadtinfrastrukturen hat.

Schließlich wird in Berlin relativ lautlos an einer Schlüsseltechnologie für alle Smart Cities gearbeitet, die aus IT-Plattform, geografischen Informationssystem und interkorporativer Kollaborations-Plattform besteht: der Baustellen-Atlas.

Mit dem Baustellen-Atlas wird die „Digitalisierung des Untergrundes der Stadt“ für alle leitungsgebundenen Systeme vollzogen. Jeder der baut, kann rechtssichere Leitungsauskünfte bekommen, und Baumaßnahmen, Sanierung und Reparaturen koordinieren. Ein Projekt mit großer „digitaler Dividende.“

Vom Abwasser bis zum zentralen Hausanschluß können sich alle Leitungs- und Netzbetreiber mit Bauherren und Straßenbehörden über Baumaßnahmen verständigen. Es ist eine Schlüsseltechnologie, die auch für den Export anderer „Smart-City-Technologien“ nutzbar wäre, wenn es neben der Wirtschaftsförderung eine systematischen „Export- und Kooperationsförderung“ gäbe!

Smart City Berlin bei Nacht
Smart City Berlin bei Nacht – Foto: pixabay CC 0

Smart City 5.0 ( Five-O )

Die Revolution 5.0 der Smart City ist erst angedacht. Eine Wirtschafts-, Export- & Kooperationsförderung 5.0, die nicht nur die „Digitalisierung“, sondern auch kommunikative und informelle und sozioökonomische Ressourcen 5.0 mit bedenkt, macht eine weltweit vernetzte Wirtschaft tatsächlich erst möglich und für alle Menschen benutzbar. Hier liegt auch die wirkliche Herausforderung, weil nicht nur neuen Technologen und Dienste, sondern tragfähige, inklusive Geschäftsmodelle entwickelt werden müssen, die „stadtweit skalierbar“ sind, aber auch dem „smart Citizen“ Zugang ermöglichen müssen.

Das bisherige Paradigma von Industrie 4.0 umfasst die Digitalisierung von Produktionsprozessen und Dienstleistungen. Die 5. Revolution wird darin bestehen, die Komplexität von AGB, Gesetzen, Regeln, Normen und Anwendungs- und Gebrauchsrichtlinien der in der Smart City benutzbaren Technologien und Dienste so zu gestalten, damit eine „inklusive digitale und soziale und wohlstandsfördernde Marktwirtschaft“ entstehen kann!

Ökonomen sinnieren und rätseln heute weltweit über das „IT-Produktivitätsparadoxon“ und sehen die Lösungsstrategie vor lauter Buchstaben nicht: sie selbst haben schon tausende Seiten von „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ Gesetzen, Regeln, Normen und Anwendungs- und Gebrauchsrichtlinien angeklickt und überlesen. Es sind Regeln der marktwirtschaftlichen Abgrenzung und Konkurrenz und der Lizenzierung.

Es sind letztlich alles „Marktregeln“, die über Chancen, Lebensqualität, Skalierbarkeit von Geschäften und über Zugang, Wohlstand und Armut und volkswirtschaftliche Prosperität entscheiden.

Die Chancen der Digitalisierung für Wohlstand und Lebensqualität liegen aber in Synergien, Gemeingütern und in kostenlosen (werbefinanzierten) Diensten, und letztlich bezahlbaren Gütern und Diensten.

Donald Norman hat schon 1988 in seinem Buch „The Design of Everyday Things“ gewarnt:

„The same technology that simplifies life by providing more functions in each device also complicates life by making the device harder to learn, harder to use. This is the paradox of technology.“

Die Wirtschaftförderung sollte daher einfachen, benutzbaren, selbsterklärenden und selbstverständlichen und nachhaltigen Dinge und Diensten in den Welt helfen! Auch Gemeingüter und allgemeine Dienste müssen gefördert und entwickelt werden, nicht nur hochskalierbare und gewinnmaximierende Technologien. Der maximale mögliche Gewinn liegt vor allem im „Long-Tail“ von Smart City-Innovationen, wenn Betrieb, Sanierung und Lebenszyklus von Technologien in die Kalkulation eingehen.

Vereinfachung, Usability und wirtschaftlich-nachhaltige Benutzbarkeit sind die zentralen Herausforderungen für die neue „digitale Gründerzeit“ der weltweiten Smart Cities.