Die Zeitung „Welt“ berichtet, der Bundestag wolle sich dem Bürgerdialog bei Facebook, Twitter und Instagram öffnen. Bislang hat sich das Parlament noch nicht auf die Verwendung von Social Media geeinigt. Nun soll die Innere Kommission des Ältestenrats ein Konzept zur Nutzung von Social Media erarbeiten lassen. Bis zum 20. März sollen sich die Bundestagsfraktionen Gedanken über eine Strategie machen, bis Ostern soll sogar ein Konzept fertig sein.
Die unter dem Schlagwort „Digitalisierung“ vorangetriebene Diskussion um die Verwendung von Social Media ist bisher noch nicht gründlich geführt worden. Vor allem wurde noch keine Aufklärung über Wirkungen und Folgewirkungen in Gang gesetzt.
Facebook als neue Instanz in der Gewaltenteilung?
Die Verwendung von Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram ist verfassungsrechtlich aus mehreren Aspekten höchst bedenklich:
1. Um in den Medienraum dieser Plattformen einzutreten, muss jedes Mitglied einen Teil seiner Persönlichkeitsrechte aufgeben, und umfangreiche Geschäftsbedingungen von fremden Datenkonzernen akzeptieren, um an Dialogen teilnehmen zu können.
2. Massive Verletzungen des Datenschutzes, Personen- und Gerätetracking insbesondere durch Facebook deuten darauf hin, dass nach der Verfassungsordnung bestehende Persönlichkeitsrechte qua digitaler Geschäftsprinzipien ausgehebelt werden.
3. Mangels einer konstruktiven Regulierungspolitik ist die „digitale Unversehrheit der Person*“ bisher nicht als Ziel einer konsequenten verfassungstreuen IT-Innovationsstrategie verankert worden, obwohl es ein nachhaltiges demokratietheoretisches und verfassungspolitisches Interesse gibt, die Freiheit der Bürger zu schützen und den Schutz vor totalitären Stukturen aller Art zu stärken.
4. Die sozioökonomische Stützung von Big-Data-Geschäftsmodellen großer Plattformen führt zu einem immer stärkeren Abfluß von digitalen Provisionen und Erträgen aus lokalen Märkten. Werden die großen Plattformen auch politisch unterstützt, geschieht ein ähnlicher Prozess in den „meinungsgetriebenen Märkten“, die bei der Aufstellung ehrenamtlicher Kandidaten in Parteien und Gemeinden beginnen, und später auf medienökonomischen Ebenen die „Social Media-Aktivisten“ begünstigen.
5. Medienökonomisch entwickelt sich die „Offene Gesellschaft“ immer mehr zu einer Gesellschaft der „informellen Cluster“ und „Netzwerke“. Für das Individuum und für Journalisten werden Gesellschaft, Demokratie und Wirtschaft immer mehr zu „immersiven Sphären“, die nur noch unter hohen Aufwand überschaubar, verstehbar und transparent werden. Die aufklärenden, vermittelnden und erklärenden Instanzen der Gesellschaft sind zugleich am Schwinden: bundesweit verschwindet nach und nach das Geschäftsmodell „Zeitung“ und „Lokalzeitung“, das bisher Übersicht und Ordnung, Sinn und soziale und wirtschaftliche Synergien gesichert hat.
6. Die effektive Zahl der Teilnehmer in sozialen Netzwerken ist überhaupt nicht repräsentativ für die Bevölkerung, auch nicht für die Demokratie. Der Bundesrat hat derzeit etwa 96.000 Twitter-Follower. Angesichts von über 84 Millionen Einwohnern ist das eine verschwindend geringe Zahl, die allerdings eine gewaltige Meinungsmacht fokussiert. Auch bundesweit kann man sehen, wie wenig repräsentativ Social-Media Aktivitäten sind. Die Volkspartei SPD hat etwa bei über 440.000 Parteimitgliedern nur 203.110 Abonnenten bei Facebook. Die überregionale Zeitung TAGESSPIEGEL hat bei über 4,92 Millionen monatlichen Besuchern nur 148.131 Facebook-Abonnenten.
7. Bundesweit haben alle Parteien nur noch 1,71% Parteimitglieder in der Bevölkerung ab 16 Jahren. Das nach dem Parteiengesetz funktionierende lokale und ehrenamtliche Engagement ist ein Engpass: es fehlt an lokalem Parteinachwuchs. Vor allem die Mühen der analogen Ebenen der Demokratie, die auf Gespräch und Diskurs, Kontext und Zusammenhang sowie Kompromiß und Entscheidung beruhen, sind durch Socia Media in Gefahr. Politische Debatten und Kontexte werden durch Überkomplexität der Medien und Argumente verzerrt. Weder Fachgremien noch Journalisten können der performativen Mediendynamik sozialer Netzwerke folgen.
8. Die Entwicklung von verfassungskonformen, schutzrechtskonformen und kulturkonformen eigenen IT-Plattformen in Europa wird durch die Entscheidung des Deutschen Bundestages mit beeinflußt. Europäische Tools und Plattformen mit inklusiven, demokratietauglichen Interaktionsforen und nachvollziehbaren Archiv-Regeln sollten als Social Media Alternativen entwickelt werden.
9. Auch die äußere und innere Pressefreiheit steht auf dem Spiel, weil Facebook und Instagram für die Ausspielung personalisierter Werbung monopolartige Marktpositionen einnehmen. Damit wird die Rolle der Presse und die wirtschaftliche Grundbedingung für Pressefreiheit unterminiert. Der zusätzliche Zeitaufwand für journalistische Recherche in sozialen Netzwerken und immersiven Foren ist schon heute nicht mehr abgedeckt. Schattenzonen der Nichtinformation, FakeNews und Framing und Verschwörungstheorien entfalten sich besonders über SocialMedia. Politiker werden zudem ungefiltert beeinflußbar, und sind in ihrer Autonomie und Meinungsbildung plötzlich Mitglied von „probabilistischen Echtzeitgremien“ ohne Verfassungsauftrag, die sich in Social-Media-Debatten herausbilden.
10. Die konstitutiven Prinzipien von Demokratien, nämlich Gewaltenteilung, Gewaltentrennung, Gewaltengliederung und Gewaltenverschränkung und Informationelle Gewaltenteilung im Hinblick auf Datenschutz- und Persönlichkeitsrechten werden durch soziale Netzwerke informell aufgebrochen. Mit dem Begriff „Digitalisierung“ sind viel tiefergehende Prozesse und Veränderungen verbunden, die als Entgrenzung der Kommunikation, Mediatisierung und „Sozial-Mediatisierung“ zu einer komplexen Veränderung von demokratischen Informations- und Entscheidungsprozessen führen. Demokratie wird im Kern u.U. auch „unsteuerbar“. Immersion, Intransparenz und performative Kommunikation führen auch zur Virtualisierung von komplexen Entscheidungen, die letztlich von niemanden mehr gänzlich überschaut werden. Nicht zuletzt: die Herausbildung hochspezifischer Eliten wird begünstig, der Gleichheitsgrundsatz wird „digital und sozial-medial“ ausgehebelt.
Fazit:
Die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien dürfen keine leichtfertigen Entschließungen zur Verwendung von Twitter, Facebook und Instragram treffen. Die Büchse der Pandora mit Cyberangriffen, hybrider Kriegführung, Populismus und heimlicher Datenausbeutung steht noch immer weit offen, während der EU-Gesetzgeber in Brüssel mit der EU-Datenschutzgrundverordnung den Deckel schließen möchte. Noch bevor die EU-DSGVO ihre nachhaltige Wirkung entfalten kann, droht das nun ganze Kind „Demokratie“ mit dem Bade umgeworfen zu werden.
* Das Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) von Fraunhofer FOKUS wird im Rahmen der Digitalen Agenda der Bundesregierung vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gefördert.