/// Glosse /// – „Hyperlokalität im journalistischen Kontext bezeichnet eine Variante des Lokaljournalismus“, so beschreibt z.B. Wikipedia ein spezielles Phänomen von Blogs, Kiezblogs und lokalen Online-Medien. Weiter heißt es dort: „Die Nachrichten sind hierbei nur für kleinste Gemeinschaften, z. B. Gemeinden, Nachbarschaften und Stadtteilen, von Interesse.“
Das Prinzip „Hyperlokalität“ schärft den Journalistenblick, plötzlich werden Details wahrgenommen. Örtliche Dinge bekommen plötzlich eine Relevanz, die sie sonst nie verdient hätten. Auch Dinge, die kaum geeignet sind, den Lauf der Welt zu verändern, Dinge die „egal“ sind, aber plötzlich durch Aufsetzen der „hyperlokalen Brille“ zum Thema journalistischer Wahrnehmung werden.
Der höchste Gipfel des Hyperlokaljournalismus wurde jüngst von einer bekannten RBB-Journalistin erklommen. Cathrin Bonhoff, studierte Informationswissenchaftlerin und Soziologin, ist als Nachrichtensprecherin, Reporterin, Redakteurin und Moderatorin bekannt. Sie wohnt im Florakiez, und schreibt nebenberuflich im gleichnamigen Blog www.florakiez.de über „Hyperlokales“.
Ein umgelegtes Straßenschild hatte es ihr angetan. Offensichtlich wurde die Puppenstubenidylle des Florakiez durch die außergewöhnliche Geometrie eines darniederliegenden Straßenschildes aufregend genug verändert, um einen Blogeintrag zu schreiben.
Ein einfacher „phänomenologischer Teasertext“ leitet das hyperlokale Großstadtdrama ein: „Fundstück: Flachgelegt – Der Gehweg wird neu gemacht, dafür muss sich auch mal was hinlegen.“
Der neugierige Leser schaut nach dem Link für „Weiterlesen“, und wird danach durch einen Kurztext mit einer lapidaren Bildunterschrift „enttäuscht“: „Gesehen in der Brehmestraße“.
Die Banalität des Gesehenen wirft Fragen auf. Wie bedeutsam müssen hyperlokale Ereignisse sein, um journalistisch wahrgenommen und verarbeitet zu werden? Wie groß muß der Ereignisort sein? Reichen 0,113 Quadratmeter kreisförmige Grundfläche eines Straßenschildes aus, um „Epizentrum“ einer journalistischen Ereignisverarbeitung zu sein?
Entfaltet das hyperlokale Ereignis eine Bedeutung für den Lauf der Kiezwelt, des Bezirks, der Metropole – oder gar der Welt?
Bedeutsam wie ein umgefallener Sack Reis in China?
Ist das umgelegte Verkehrsschild etwa so bedeutend, wie der sprichwörtliche umgefallene Sack Reis in China?
Wir wissen heute: ein einziger umgefallener Sack Reis mit „nicht zum menschlichen Verzehr zugelassenen Bt1-Genreis“ hat zu weltweiten Verwicklungen, Verkaufsverboten und ausgeräumten Lebensmittelregalen in der EU geführt.
Gibt es eine versteckte Botschaft?
Der knappe Text, das Bild, sie üben einen magischen „hyperlokalen Reiz“ aus. Steckt etwa eine versteckte Botschaft im Bild?
Könnte eine verborgene Botschaft in dem umgelegten Straßenschild verborgen sein?
Sind die herumliegenden Pflastersteine etwa ein spätes Mahnmal für den alten Pankower Steinsetzmeister Albert Brehme (*15.12.1837 +16.6.1913), der einst sein Grundstück für den Bau der Brehmestraße gab.
Gibt es eine Verbindung zum anderen Straßennamen „Heynstraße“? . Johann Friedrich „Fritz“ Heyn (*21.9.1849 Berlin +13.11.1928) war Stuhlrohrfabrikant, Unternehmer und Kommunalpolitiker – quasi ein Zeitgenosse.
Es scheint, das flachgelegte Straßenschild markiert keinen Epochenbruch, keine Kunst, sondern ganz einfach eine banale und ganz routinemässige Baumaßnahme.
Und doch wurde hier für den Lokaljournalismus ein Zeichen gesetzt: das bisher in der Zeitungsgeschichte und jungen Geschichte des hyperlokalen Journalismus wohl „unbedeutendste Ereignis“ wurde publiziert – und vor dem Vergessen bewahrt.
Ein Pflasteraufbruch wurde in Szene gesetzt, und wie ein „Epochenbruch“ im Kiez ins Bild gesetzt.
Der Steinhaufen und das flachgelegte Straßenschild werden nun allen Kiezbewohnern auf lange Zeit im Gedächtnis bleiben. Autorin Cathrin Bonhoff hat den Gipfel des Hyperlokaljounalismus erklommen!