/// Kommentar /// – Mit der Verabschiedung des „Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG, Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken)“ und dessen Inkrafttreten verändert sich der informelle Charakter des weltumspannenden sozialen Netzwerkes Facebook grundlegend.
Freie Meinungsäußerungen, Meinungsbeiträge und Nachrichten können nach nachträglicher Beanstandung durch private Löschdienste und rechtsunkundige Hilfskräfte durch Löschung und „teilweise Löschung“ verändert werden. Damit aber ist die Zuverlässigkeit und Vollständigkeit der Information auf Facebook nicht mehr gegeben.
Eingriff in die Meinungsfreiheit und das veränderliche Wort
Das NetzDG ist wegen grundlegender rechtlicher Bedenken hoch umstritten. Aufgrund des Demokratieprinzips aus Art. 20 II 1 GG geht die politische Willensbildung vom Volke aus. Staatorgane sollen lediglich diesen Willen präsentieren und müssen daher politische Neutralität wahren. Digitale Internetplattformen wie Facebook müssen gleichermaßen das Neutralitätsgebot wahren, wenn die Meinungsfreiheit gelten soll.
Wegen seiner hohen Strafandrohungen, fehlender Ausführungsbestimmungen und rechtlich eindeutiger Begriffsbestimmungen entfaltet das NetzDG eine unbestimmte Wirkung, die nicht mit dem Neutralitätsgebot einer Netzwerkplattform vereinbar ist.
Private Löschdienste, die ohne richterliche Befugnis und ohne juristische Sachkunde in digital dokumentierte freie Meinungsäußerungen eingreifen, sind nicht mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, nicht mit dem Europarecht und auch nicht mit den UN-Konventionen vereinbar.
Durch die Art der privatrechtlichen Löschpraxis (ohne neutrale Begutachtung) wird auch der Grundsatz, wonach das einmal geschriebene Wort gilt, außer Kraft gesetzt. Damit wird aber auch der in Kontext von Diskussionen geäußerte Sinn nachträglich verändert bzw. veränderbar.
Facebook wird grundrechtsfreier und pressefreier Raum
Facebook scheidet damit als öffentlich zugängliche Nachrichtenquelle und zugleich privat zugängliche Quelle für eine seriöse Presseberichterstattung und Kommentierung aus ganz pragmatischen Gründen aus.
Der Grund: Journalismus muss auf Verlässlichkeit der Information vertrauen können, und kann nur auf Basis zuverlässiger Information bewerten und urteilen.
Da das NetzDG auch performative Wirkungen nach sich ziehen kann, indem etwa gezielt Meinungen durch massenhafte und ggf. automatisierte Beanstandungen bekämpft werden können, ist Facebook kein Raum mehr für ungeteilte Meinungsfreiheit. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit wird präventiv und implizit eingeschränkt.
Durch die mögliche Löschpraxis, beanstandete Beiträge selektiv der Sichtbarkeit zu entziehen, wird Facebook de Facto zum „grundrechtsfreien digitalen Raum“.
Da das Löschen in öffentlichen und privaten Gruppen jeweils nach Beanstandungen erfolgen kann, ist die Grundeigenschaft von „Öffentlichkeit“ oder „Gruppenöffentlichkeit“ nicht mehr gegeben. Facebook wird mit Inkrafttreten des NetzDG zu einer „digitalen veränderlichen Zwischensphäre“, die nicht mehr als freier Informationsraum charakterisiert werden kann, in dem Informationen frei diskutiert werden können. Facebook kann danach nicht mehr Agora und nicht mehr Forum sein.
Konsequenzen für die Pressearbeit der Pankower Allgemeine Zeitung
Mit Geltung des NetzDG ist Facebook für die Redaktion keine verläßliche Nachrichtenquelle mehr. Texte, Bilder und Videos auf Facebook sind Quellen eines „unzuverlässigen digitalen Informationsraums“, in dem das Recht auf freie Meinungsäußerung mittelbar und/oder unmittelbar beschränkt ist.
Die Zuverlässigkeit von Informationen von Facebook-Nutzern, die unter Einschränkungen der Meinungsfreiheit zustande kommen, wird grundsätzlich angezweifelt.
Texte, Bilder und Videos auf Facebook können daher nicht mehr als journalistische Primärquellen dienen und werden künftig weder verlinkt, noch zitiert.
Bedeutende zeitgeschichtliche und politische Inhalte können so im „grundrechtsfreien und pressefreie Raum“ verschwinden und für die Öffentlichkeit unsichtbar bleiben.
Allen Facebook-Nutzer wird deshalb angeraten, für ihre Meinungsäußerungen öffentliche Medien zu nutzen, und ggf. redaktionell betreute Foren von digitalen Zeitungen zu nutzen.
Dokumentation: Justizminister Maas und der Frontalangriff auf die Meinungsfreiheit
Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel hat die Kritik zu einer Generalabrechnung mit dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ genutzt und in einer Rede im Stasimuseum in Berlin am 28.06.2017 zusammengefasst: „Das Gesetz ist europarechtswidrig, verfassungswidrig, völkerrechtswidrig.“
Steinhöfel ist seit 2008 regelmäßiger Autor beim politischen Blog Die Achse des Guten und seit 2015 Gastautor im Online-Magazin Tichys Einblick. Hier wurde die Rede von Steinhöfel auch zuerst veröffentlicht im Beitrag „Polit-Elite im Kontrollverlust – Aus dem Stasimuseum zum Zensurgesetz | 29.6.2017 | Achgut)
Weitere Informationen:
Wikipedia zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Zum Redaktionstermin lag die Endfassung des NetzDG noch nicht in aktueller verabschiedeter Fassung vor.
Der Link zur Bundestagsdrucksache wird zum geeigneten Zeitpunkt hier eingestellt.