///Kommentar /// – „Spiegel“ und „Bild“ kriechen bei Facebook unter. Springer will angeblich die „Huffington Post“ kaufen. Google will europäische Zeitungen und journalistische Formate mit 150 Mio. € unterstützen. Die Verlage sind offensichtlich nicht zu bremsen, und wenden sich dem schnellen Geld zu.
Nach der Apokalyse der Medien 1 und 2 droht nun die 3. Medienapokalypse: die wirtschaftliche Abhängigkeit der freien Presse von kalifornischen Netzwerkunternehmen wie Facebook und Google, die ihre informelle Hegemonie im Internet auf Steuervorteilen und kostenloser Quersubventionerung von Werbeeinnahmen und Big-Data-Datenverwertung aufbauen.
Es sind leistungsfeindliche und nicht mehr faire Marktgesetze, sondern kulturzerstörende und menschenrechtsferne „digitale Gesetze“, die ohne politische Vertretung in Kreativlaboren und Rechenzentren erlassen werden.
Es ist an der Zeit, mit der „kalifornischen Topologie des Internets“ aufzuräumen, die nach Art außerirdischer Handelsregeln der Ferengi in die reale Welt gesetzt werden, ohne Rücksicht auf Folgewirkungen, fairen Wettbewerb und soziale Folgen.
Unkalkulierbare Folgewirkungen für Pressefreiheit und Demokratie
Die Netzwerk- und Internetökonomie und das „Internet der Smartphones“ verändern grundlegend die Spielregeln in der Demokratie, weil sie in Privatheit, Persönlichkeitsrechte, Informationsfreiheit und Pressefreiheit eingreifen.
Vor allem wird die soziale Marktwirtschaft, ihre Marktregeln und ihre Marktverfassung „dekonstruiert“ und „digital neu zusammengesetzt“. Besonders das universelle „Leistungsprinzip“ wird durch ungesteuerte „Quersubventionierung“ beliebig außer Kraft gesetzt. Die Kultur der Marktwirtschaft wird durch geheime Masterminds unkontrollierbar umgewälzt.
Mit den neuen Medienkooperationen der Leitmedien mit Facebook wird nicht nur der Rubikon überschritten, sondern auch der Boden der sozialen Marktwirtschaft und der Pressefreiheit, wie wir sie in Europa kennen, endgültig verlassen.
Vor allem aber: wir müssen grundlegende Verstöße gegen den freien Wettbewerb feststellen – und ein unlautere internationale Kartellbildung feststellen.
Die drei Apokalypsen der Medien
Das Wort von der „Apokalpse der Medien“ stammt von Michael Kroker, Herausgeber des Blogs „Look @ IT“. In seinem Beitrag „Die erste und die zweite Apokalypse der Medien – und was sie für die Verlage bedeuten“ (Look @ IT | 4.5.2015 | Michael Kroker) analysierte er die zwei apokalyptischen Trends seit 2011, die Werbeerlöse fü Cost-per-Click Werbung (CPC) sinken.
1. Apokalypse der Medien
„Bisher galt als Faustregel, dass für jeden im Print-Geschäft weggebrochenen Umsatz-Dollar oder -Euro online nur ein Zehntel erlöst werden kann,“ schreibt Kroker.
Kroker weiter: „Die rückläufigen CPC-Preise lassen diese Schere nun noch weiter aufgehen: Es ist die erste Apokalypse der Medien – weil sich zeigt, dass rein auf Online-Werbung basierte Geschäftsmodelle nicht funktionieren. Denn selbst stetig steigende Zugriffszahlen sorgen wegen der sinkenden Werbepreise nicht für Mehreinnahmen: Online-Newsseiten können wachsenden Web-Traffic also gar nicht mehr monetarisieren – was letztlich dem Tod Reichweiten-orientierter Geschäftsmodelle gleichkommt.“
2. Apokalypse der Medien
Kroker beschreibt auch die Struktur der zweiten Apokalypse der Medien:
„Die zweite Apokalypse der Medien verschärft die Schwierigkeiten glatt um eine Größenordnung: Der amerikanische Think-Tank Pew Research Center hat in der vergangenen Woche seine aktuelle Studie “State of the News Media 2015″ zum Zustand der US-Medien vorgelegt. Ein wichtiger Befund ist der anhaltende Trend der Nutzer in Richtung Mobile.
So erhalten in den USA bereits 39 von 50 Nachrichten-Webseiten mehr Traffic von Smartphones und Tablets als von herkömmlichen Arbeitsplatz-PCs. Gleichzeitig verbringen aber nur bei 10 von jenen 50 Webseites die Mobil-Nutzer mehr Zeit pro Besuch als die Desktop-User.“
Das bedeutet: die Verlage erzielen ausgerechnet in ihrem Stammgeschäft nicht mehr genug Einnahmen, um ihre Medienangebote und ihre Redaktionen zu finanzieren.
Schmerzlich spürt dies zur Zeit auch das Team der Prenzlauerberg Nachrichten, die nun das Heil in der Flucht in einem Abo-Modell suchen. „Vor ein paar Jahren wurden lokale Nachrichtenblogs wie die Prenzlauer Berg Nachrichten noch als Zukunft des Journalismus gehandelt. Nun wollen die Macher ihr Geschäftsmodell ändern: Statt Anzeigen sollen künftig Abonnenten die Zeitung finanzieren. Kommen davon nicht ausreichend zusammen, wird das hyperlokale Angebot eingestellt;“ schreibt der Branchendienst Meedia am 28.4.2014 über die Kollegen aus Prenzlauer Berg.
Die Pankower Allgemeine Zeitung verzeichnet sehr viele mobile User. Bei Kulturankündigungen sind es sogar bis zu 81 Prozent der Zugriffe im Zielpublikum 18-45 Jahre. Für altersübergreifende Themen, E-Kultur, Musik und Literatur und kommunalpolitische Themen verschiebt sich das Verhältnis: die Älteren greifen noch vorwiegend über normale PC´s und Notebook-Computer zu.
Bisher macht die Pankower Allgemeine Zeitung im Probebetrieb Verlust, ein Bezahlmodell ist aber geplant, das konstruktiv mit den Rahmenbedingungen der ersten und zweiten Medienapokalypse umgeht, und auf eine Abhängigkeit von Facebook verzichtet.
Dazu sollen Öffentlichkeit und Kulturöffentlichkeit der europäisch geprägten Stadt als „Kulturgut“ geschützt und entwickelt werden. Das innovative Modell wird derzeit nur Medienexperten zugänglich gemacht, und soll am 1.9.2015 vorgestellt werden.
Mit der Einführung von WINDOWS 10 ab Herbst 2015 ändern sich die Marktbedingungen erneut: es wird sich eine Konvergenz zwischen Desktop und Smartphone einstellen, die neue Synergien möglich macht, eine Chance die wahrgenommen wird.
Erschwerend kommen aber zwei Bedingungen für deutsche Online-Medien hinzu: die Kosten des Zahlungsverkehrs zehren am Ertrag. Dazu erfordert der Mindestlohn einen unternehmerischen Mindest-Mittellohnstundensatz, der je Produktionsstunde und Tag kalkuliert werden muß. Erkennbar ist schon jetzt: ein Newsroom und die technische Syndizierung von Inhalten sind die einzigen Alternativen zu einem redaktionellen Outsourcing in Billiglohnländer.
3. Apokalypse der Medien
Die neue und dritte Apokalypse der Medien ist schwer verständlich, denn sie beruht auf begrifflichen Fehlintepretationen, auch reinen Fiktionen und fiktionalen Erwartungen – sowie auf betriebswirtschaftlichen Spekulationen.
Die erste begriffliche Fehlinterpretation hat mit der Verwechslung von Klick-Zahlen und „Kunden“ zu tun. In seinen Richtlinien für die Suchmaschinenoptimierung hat es Google erfolgreich geschafft, die Suggestion zu verbreiten, bei Klicks auf eine Webseite könne es sich um „Kunden“ handeln. Tatsächlich aber handelt es sich auch um Robots, um klickende Kinder und um die verschiedensten SPAM- und Auswertedienste, bis zur Performance-Messung. Google verdankt so seinen Umsatz der Fiktion „interessierten Kunden“. Doch das reale Geschäft wird in Konversionsraten und Performance-Daten gemessen, und die liegen meist unter 2%, was aber durchaus wirtschaftlich lohnend sein kann. Für die breite Masse lohnt es aber nicht, die sinkenden CPC-Preise der ersten Apokalypse der Medien sind Ausdruck für „nichterfüllte Fiktionen“.
Mit dem Einstieg von Facebook in die Werbung wird ein neuer Weg eingeschlagen, weil die Daten der Nutzer für das Geschäft von Facebook immmer wichtiger werden. Facebook kann sich sogar leisten, kostenlos Inhalte und Werbung mit „an Bord“ zu nehmen, weil auch die „Nichtakzeptanz“ von Inhalten und Werbung ertragreiche Daten emporfördert. Facebook kann es schlichtweg egal sein, ob SPIEGEL oder BILD-Beiträge angeschaut werden. In jedem Fall wird die Erkenntnis gewonnen, wer niemals SPIEGEL und BILD anschaut, und so für Dritte interessant wird.
Was Medienplaner und Betriebswirte nicht bedenken: die 3. Apokalypse der Medien könnte genauso böse enden, wie die holländische Tulpenspekulation. Der mobile User ist schon heute mit Informationen überfüttert, und muss sich schon bemühen, kompliziertere Informationen von den bunten Geräte-Menüs und Apps zu unterscheiden.
Dass nun „Spiegel“ und „Bild“, „New York Times“, „Guardian“, BBC, NBC, „National Geographic“, „The Atlantic“ und das Klatschportal „Buzzfeed“ bei Facebook „Instant Articles“ mitmachen, basiert ebenso auf Annahmen und Fiktionen.
Smartphone-User nutzen ihre Geräte nämlich überwiegend für Kommunikation, die informelle Nutzung ist verhältnismässig gering. Wer sein Smartphone am Ohr hat, und telefoniert, kann keine Werbung anschauen. Und wer mit Ohrstöpsel und Freisprechgerät unterwegs ist, hat eher ein Spiel, als einen visuell informierenden Zeitvertreib auf dem Screen.
Die 3. Medienapokalypse schickt schon 2016 die ersten neuen Reiter aus, wenn die Ergebnisse von Facebook-Datenauswertungen die großen Werbekunden der Leitmedien und Verlage erreichen. Nach Katzenbildern, Selfies und „Kim Kardashian-Assies“ ist zu erwarten, dass viele „triviale komische Stories“ und schräge YouTube-Videos die „Performance-Raten“ drücken.
In Facebook-Communities wirkt Werbung ohnehin wie ein Fremdkörper, ein ungebetener Gast. Auf Werbeunterbrechungen reagieren Smartphone-User vor allem mit Version, wenn die Speicherbegrenzung der Flatrate angekratzt wird.
Facebook „Instant Articles“ wird den Trend zur Trivialisierung eher verstärken. VVor allem wird es erneut die Preise drücken, und man wird neuen redaktionellen Aufwand mit „Instant-Appetizern“ aktiv werden müssen, und in Eigenwerbung auf Facebook investieren,
Die Verlagsmanager und Controller sollten sich nun genau die Ferengi-Erwerbsregel ansehen, es sind Regeln, in denen das Wort „Partner“ fehlt, die nur einen Gewinner kennen. Regel 10 enthält die ultimative Mahnung, Kunden und Endgeräte nicht zu verwechseln: „Ein toter Kunde kann nicht soviel kaufen, wie ein lebender!“ Regel 11: „Es ist nicht alles Latinum, was glänzt!“
Kritik im Netz an den Kooperationen
Inzwischen werden die Kooperation mit Facebook „Instant Articles“ heftig kritisiert. Michael Hanfeld schreibt ( FAZonline 15.5.2015) sogar vom „Stockholm-Syndrom“ der Journalisten, die im Werbevideo von Facebook gezeigt werden, wie sie „mit glänzenden Augen erzählen, wie schnell ihre Story bei Facebook aufpoppt!“
Mehr Wirkung dürfte die neue Initiative von Europas Netzbetreibern finden, die mehr vom Werbekuchen bei Google & Co. abbekommen möchten, denn sie müssen gewaltige Infrastrukturkosten des Netzausbaus tragen:
„Mehrere Mobilfunk-Anbieter arbeiten laut einem Zeitungsbericht daran, Online-Werbung in ihren Netzen zu blockieren. Ein europäischer Netzbetreiber habe bereits die dafür nötige Software in seinen Rechenzentren installiert und wolle sie bis Ende 2015 einschalten, schrieb Robert Cookson, Digital Media Correspondent der „Financial Times“ heute (Bezahlinhalt: FINANCIAL TIMES – Link).
Die Initiative der Netzbetreiber stellt den Grundsatz der Netzneutralität in Frage, und ist geeignet, eine Debatte über die „Topologie des Internets“ und „Fair digital Trade Terms“ im Internet zu entfalten.
Eine „Berliner Topologie“ des Internets mit fairen Marktregeln ist schon in Arbeit, und dürfte bald als WhitePaper das Licht der Netzgemeinde erblicken. Die Zeit ist reif, für eine soziale Marktwirtschaft im Internet!
Für die Politik und Ökonomie gibt es übrigens auch eine grundsätzliche Ferengi-Regel, die an Grenzen des Handelns erinnert:
Regel 10: „Ein toter Kunde kann nicht soviel kaufen, wie ein lebender!“