Der Streit zwischen dem Jugendamt des Bezirks Pankow und dem Träger des Modellprojektes H.O.F.23 – „House of Fantasy”, als Zentrum für schöpferische Aktivitäten Jugendlicher, spitzt sich nun zu. Heute teilte der Träger TheMa e.V. mit, dass er sich nicht an dem laufenden Interessenbekundungsverfahren des Jugendamtes für die Fortführung offener Jugendarbeit beteiligt.
Der Verein verzichtet damit auf eine Anschlußförderung für ein Teilprojekt des Jugendamtes in Höhe von erwarteten rund 63.000 € für zwei Sozialarbeiter-Stellen und will die bisherige Arbeit allein mit seinem Modellprojekt weiter führen.
Wirtschaftliche Diskrepanz zwischen Förderanspruch und Förderbetrag
Für eine angemessene jährliche Förderung mit einer geforderten Kapazität von 191 Plätzen wäre eigentlich eine Förderung in Höhe von 299.130 € entsprechend den Mindeststandards notwendig (berechnet nach dem QM-Handbuch Berliner Jugendfreizeiteinrichtungen; 3. überarbeitete Auflage 2012; S.174).
Gegen die geforderte Umprofilierung des Hauses zu einem offenen Jugendclub wehrt sich der Träger bereits seit Jahren, weil er wegen der Folgekosten praktisch durch das Jugendamt wirtschaftlich überfordert wird.
Die Bezirksverordneten im Kinder- und Jugendausschuß der BVV sind augenscheinlich darüber fehlinformiert – weil dieser Streit um wirtschaftliche Interessengegensätze vom Jugendamt nicht offen geführt wird. Nur so ist erklärbar, warum selbst Bezirksverordnete von SPD und Grüne erklären, der Träger sei „beratungsresitent“.
Das Jugendamt Pankow betreibt nun die Kündigung des Trägers, der eine langjährige Drittmittel-Förderung in Millionenhöhe und den Ausbau des bezirkseigenen Gebäudes erst ermöglicht hat.
Träger wehrt sich gegen Projektabbruch und Fördermittel-Rückforderungen
Der Träger hat in den vergangenen Jahren über 3.Mio. € Drittmittel für das Modellprojekt und den Ausbau des Gebäudes eingeworben, das aus vielen Quellen stammen:
– 3 ESF-Förderungen mit Kofinanzierungsanteilen des Trägers
– Spenden und Investitionen die durch den Sponsorenaufruf des damaligen Bezirksbürgermeisters Schilling, zustande kammen.
– Spenden die durch die Unterstützung des damaligen Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen zustande kammen
– Spenden aus der Bevölkerung und von Unternehmen • Subventionen durch kleinerer Stiftungen wie Aktion Mensch usw.
– Eigenmittel und Eigenleistungen des TheMa e.V. der dafür drei damalige Betriebsstätten auflöste.
Wer sich noch erinnert: der Träger betrieb zeitweise das „Theater an der Schönhauser“, die Bildungstätte Karlshorst, und die Proben- und Spielstätte Steinhaus. De jure muß der Verein bei Projektabbruch die anteilige Förderung für das auf 25 Jahre befristete Projekt zurückzahlen. Allein bei der DKLB sind es ca. 315.000 €.
Zudem ist der Verein in der Pflicht, alle Geldgeber über einen Projektabbruch zu informieren.
Die Geschäftsführung des TheMa e.V. befürchtet vor allem eine Rückforderung von zweckgebundenen Fördermitteln, die die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin dem Träger für die Fortführung des Modellprojektes entsprechend den Verträgen bis 2025 zugesagt hat.
Der Rechtsanwalt des Vereins hat nach rechtlicher Prüfung der Zuwendungsakte von einer Interessenbekundung abgeraten, da im Fall eines Abbruchs des Projektes durch den Verein, eine Rückforderung von ca. 315.000 € durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin auf den Verein zukommt. Auch etwaige Kofinanzierungsmittel des ESF könnten damit noch mitbetroffen sein.
Der eigentlich wirtschaftlich arbeitende Verein wäre damit insolvent, Mitarbeiter des Vereins sprechen auch schon davon, „.. das Jugendamt wolle den Träger „plattmachen““!.
Modellprojekt seit 1999
Der Träger betreibt seit 1999 das Modellprojekt, welches er mit mindestens zwei Drittel der vorhandenen Kapazitäten des Gebäudes nutzen muss, um der Zweckbindung gegenüber der Klassenlotterie Rechnung zu tragen.
Das Projekt ist ressortübergreifend konzipiert und vereint Jugend, Kultur, Bildung und Soziales und ermöglicht dem Träger auch eine teilweise Selbstfinanzierung der Kinder- und und Jugendarbeit im Modellprojekt.
Das Jugendamt stellt die vom Träger selbst in langjähriger Ausbau- und Projektarbeit modernisierte Immobilie kostenfrei zur Verfügung, und erwartet für die offene Jugendarbeit Gegenleistungen des Trägers, die aber nicht direkt abrechenbar sind.
Die kostenfreie Bereitstellung der Immobilie war auch die Bedingung für über 3 Mio. € Fördermittel der Lottostiftung, die aufwendet wurden, um das Gebäude instand zu setzen, und modern auszustatten – und bis 2025 zu betreiben. Diese Dritt-Mittel wurden vom TheMa e.V. ursprünglich selbst durch die Idee des Modellprojektes akquiriert.
Streit mit dem Jugendamt um die Kosten offener Jugendarbeit
Der Streit geht um die Erhöhung der Anteile der „offenen Jugendarbeit“, die jedoch zu erhöhten Aufwendungen des Trägers führen muß; etwa für Reinigung, zusätzliche Abnutzung und Reparatur, sowie Sicherheit und Wachdienst bei den üblichen Jugend-Diskos.
Das Haus hat auch schon 2006/2007 Krisenzeiten erlebt, als eine allzu „offene Jugendarbeit“ etwa „ungebetenen Besuch“, Streit, Zerstörung und Diebstahl ins Haus holten. Auch eine zeitweilige Sperrung der Küche wegen Hygieneproblemen konnte nur nach vielen Mühen durch eine neue Geschäftsführung abgewendet werden.
Der Aufwand für die offene Jugendarbeit übersteigt nach Ansicht des Trägers den Aufwand für 2 Sozialarbeiterstellen. Zudem wirkt die offene Nutzung ständig störend in die laufende Arbeit des Modellprojektes hinein.
Damit wird das über lange Jahre aufgebaute Modellprojekt gefährdet – und das eigentlich auch für kulturelle Bildung und Sozialarbeit ausgelegte Projekt würde zu einem reinen offenen Jugendtreff rückentwickelt.
Jugendausschuß der BVV nur teilinformiert?
Nach Ansicht des Trägers sind die Bezirksverordneten nicht richtig vom Jugendamt informiert., das für 63.000 € zwei zusätzliche Mitarbeiterstellen finanziert, und mehr offene Jugendarbeit einfordert, die in der Gesamtrechnung jedoch über 160.000 € Kosten-Aufwand beim Trägerverein zusätzlich verursachen.
Immerhin: beim TheMa e.V. arbeiten 4 Feste Mitarbeiter und 5 Honorarmitarbeiter. Dazu kommt das zeitweilig eingesetzte Personal für Veranstaltungeb, davon 2-5 Sicherheitskräfte für die offene Disko, 1 Diensthabener, dazu 2 Techniker und 3-5 Mitarbeiter für den Tresen und die Küche. Ferner ist noch künstlerisches Personal je nach Veranstaltungen gebucht; Musiker, Bands und auch Theatermacher.
Im Weißenseer Kiez ist das H.O.F.23 eine bewährte und gut geführte Einrichtung, die auch aufgrund der langjährigen Erfahrung der MitarbeiterInnen gut läuft – und auch eigene Einnahmen erwirtschaftet, die der Qualität des Betriebs zugute kommen.
Darüberhinaus hat sich eine ganze Reihe ehrenamtlicher Helfer eingespielt, die zum Teil auch bei Sanierung und Ausbau tatkräftig geholfen haben.
Das für den Weißenseer Kiez so wichtige Projekt ist nun in Gefahr- Das Pankower Jugendamt betreibt mit den Anforderungen an eine „offene Jugendarbeit“ die wirtschaftliche Schädigung der Arbeit des Trägers, der seine Mitarbeiter und die teure Ausstattung finanzieren und sichern muß.
Dabei nutzt das Jugendamt seine beherrschende Stellung als Vermieter in unzulässiger Weise aus, um über den Sachumfang der geforderten Leistung hinaus „kostenlose Zusatzleistungen“ abzuverlangen, die den Verein und das Förderprojekt wirtschaftlich gefährden.
Langfristige Perspektive und Vertrauensschutz für Modellprojekt gefordert
Das Projekt H.O.F. 23 wurde mit Wissen und Wollen und Zustimmung des Bezirks Pankow als ein „Zentrum für schöpferische Aktivitäten“ eingerichtet und an das Gebäude gebunden. Das Modellprojekt ist bis zum Jahr 2025 im Zusammenwirken mit der Berliner Verwaltung und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin vereinbart.
Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport soll nun vom Verein zusätzlich eingeschaltet werden – denn dort weiß man bis jetzt noch gar nicht von dem neuen Konflikt.
René Vedder, Geschäftsführer des TheMa e.V. fordert nun Vertrauensschutz vom Pankower Jugendamt ein – und hat sich auch für die bevorstehende juristische Auseinandersetzung gewappnet. Im Fall einer „kalten Schließung“ und Kündigung des Standortes durch das Jugendamt drohen dem Bezirk Pankow nun erhebliche Kosten:
– Kosten des Verfahrens
– Rückzahlung von 315.000 € an die DKLB
– Rückzahlung von ESF-Mittel in unbenannter Höhe
– Rückzahlungen an Spender und Investoren in unbenannter Höhe
– Schadensersatzforderungen des TheMa e.V. von wenigstens ca. 150.000 €.
Nachdem Bürgermeister Mathias Köhne (SPD) undn Stadträtin Christine Keil (DIE LINKE) die Beschwerden des Trägers an den BVV-Aussschuß für Eingaben und Beschwerden pauschal und ohne ausreichende Prüfung durch das Rechtsamt zurückgewiesen haben, wird die Auseinandersetzung nun sicher juristisch weiter gehen.
Der schwarze Peter liegt jetzt beim Bezirksamt, das selbst die Ursachen für einen Projektabbruch setzt – und die Folgen etatisieren muß.
Aktenlage und Amtsführung des Jugendamtes in der Kritik
Die bisher der Redaktion vorliegenden Dokumente weisen auf klare Mängel in der Amtsführung des Pankower Jugendamtes hin. Offensichtlich ist man nicht in der Lage, mit einem auf 25 Jahre angelegten Modellprojekt stabil und verläßlich umzugehen.
Insbesondere die Grundsätze von Haushaltswahrheit und Klarheit sind bei der Vermietung des Objektes nicht klar beachtet worden – weil versucht wurde, einmal geschaffenen Vertragsgrundlagen durch nachträgliche Auflagen zu Gunsten des Vermieters zu verändern.
Auch hat man bei der Würdigung der Argumentation des beschwerdeführenden Trägers wohl mehr auf einigenden „Korpsgeist der Verwaltung“ als auf tatsächliche Aktenkenntnis gesetzt. Zudem wurde der Jugendausschuß unzureichend über die tatsächlichen juristischen und finanziellen Folgen informiert.
Wirklich bedenklich sind die versuchten Eingriffe der Jugendamtsleitung in die grundgesetzlich geschützte „Berufsausübungsfreiheit“ des Trägers, dem durch Auflagen die wirtschaftliche Vereinsführung erschwert wird – und dabei meßbarer wirtschaftlicher Schaden zugefügt wird.
Höchst peinliches Interessenbekundungsverfahren
Das Jugendamt des Bezirks Pankow hat nicht einmal den Anstand bewiesen, ein ordnungsgemäßes Interessenbekundungsverfahren durchzuführen. Ein offener E-Mail-Verteiler mit über 60 Mail-Adressen wurde genutzt, damit sind praktisch alle aufgeforderten Träger untereinander bekannt und können sich absprechen.
Mindestens ein Träger hat wegen der hohen Zahl der aufgeforderten Mail-Adressen auch abgewinkt, wie der Redaktion bekannt wurde.
Die Äußerungen der Bezirksverordneten Catrin Fabricius (Bündnis 90/Grüne) und Thomas Bohla (SPD), der Träger könne sich im Rahmen der Interessenbekundung erneut selbst bewerben, klingen angesichts von über 60 aufgeforderten Trägern als blanker Zynismus. Es sieht eher danach aus, als ob hier der Träger um einen hohen Preis regelrecht abgedrängt werden soll.
Auch in Formfragen nimmt es das Jugendamt nicht so ganz genau: Das Ausschreibungs-Dokument enthält auch noch den Namen des bisherigen Trägers: „InteressenbekundungsV Thema%09 eV.pdf“ – was wohl auch als unzulässige Einflußnahme oder Begünstigung von dritter Seite der aufgeforderten Bieter ausgelegt werden kann. Auch eine Rufschädigung und Diskriminierung ist damit verbunden.
In der Gesamtschau stellt sich hier eine „eigenartige Vorgehensweise“ dar, die den Eindruck der Vereinsmitarbeiter bestärkt, „… hier solle ein Träger regelrecht „abgeschossen werden!“
Hoher Schaden droht für den Bezirk Pankow
Es ist absehbar, dass sich der Träger nun mit juristischen Mitteln gegen eine Kündigung des Mietvertrages wehren wird, zumal noch mehrere andere Projekte überjährig bis ins Jahr 2015 hineinlaufen.
Dem Bezirk Pankow droht ein kaum wiedergutzumachender Schaden: Rückzahlungen in hoher sechsstelliger Höhe, mögliche Schadensersatzforderungen des Vereins, Verfahrenskostenund zusätzliche Pflichtausgaben im Sozialetat bei der Unterstützung der Mitarbeiter des Trägers im Falle von Berufswechsel und etwaiger Arbeitslosigkeit.
Der Vertrauensschaden bei den betroffenen Jugendlichen – und der Vertrauensschaden bei Sponsoren und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin ist dabei kaum bezifferbar.
Überdies stehen nun Bürgermeister Köhne und Stadträtin Keil beide gemeinsam in der Schußlinie – wenn es in eine juristische Auseinandersetzung um das Projekt H.O.F.23 geht.
* Anmerkung: in der öffentlichen Sitzung wurde einer Fotoerlaubnis von 5 Personen widersprochen.
Das Foto wurde deshalb redigiert und Gesichter unkenntlich gemacht.
Weitere Informationen:
H.O.F. 23: Von fantasieloser Verwaltung bedroht! 2.9.2014 Pankower Allgemeine Zeitung