Berlin erlebt eine lange Hitzeperiode, die noch weit über den Siebenschläfer-Tag anhalten wird. Deutschland trocknet aus. In ganz Brandenburg herrscht höchste Waldbrandgefahr. Experten rechnen auch damit, dass Berlin künftig im Sommer regelmässig mit Hitzeperioden zu rechnen hat, die bis zu vier Monate andauern können. Damit stellen sich langfristig in Berlin Verhältnisse wie in Südfrankreich ein.
Die Kehrseite dabei: in bereits heute überhitzten dicht bebauten Stadtteilen fehlt der nächtliche Temperaturausgleich, vor allem wenn es keine Kaltluftzufuhr aus dem Umland oder aus Tälern und Flußauen gibt. Für ältere Menschen und Kranke mit Herz-Kreislauferkrankungen werden lange Hitzeperioden sogar zur Gefahr. Klimaexperten sprechen von „erhöhter Vulnerabilität“, was man auch in einfacher Sprache als „Verwundbarkeit“ oder „Verletzbarkeit“ bezeichnen kann.
Erhöhte Temperaturen und Lufttemperaturen bedeuten auch: es ist mehr Wasserdampf und Energie in der Atmosphäre: Gewitter und Starkregenerreignisse und Unwetter nehmen zu. Sturzregen mit über 100 Litern Regenwasser je Quadratmeter häufen sich. Städte müssen sich daher an diesen Klimawandel anpassen, und Regenrückhaltekapazitäten und Kanalisation anpassen.
Die Strategie der Klimaanpassung wurde schon vor mehreren Jahren vom Umweltbundesamt initiert, seit 2016 gibt es auch wichtige Empfehlungen: Klimaanpassung: „Praxishilfe für Raumordnung und Bauleitplanung.“
„In überhitzungsgefährdeten, dicht besiedelten Stadtquartieren ist die Verbesserung des Stadtklimas eine wichtige planerische Aufgabe. Eine städtebauliche Neuordnung im Rahmen von Stadtumbauaktivitäten eröffnet unter anderem die Möglichkeit, neue Grünflächen festzusetzen. Solche „Klimaoasen“ haben eine positive mikroklimatische Wirkung. Werden sie mit anderen klimabedeutsamen Flächen durch Kaltluftbahnen vernetzt, können sie die negativen Auswirkungen städtischer Wärmeinseln reduzieren.“
Klimawandel und Baurecht
In der Praxishilfe gibt es auch ein Kapitel, das Rechtsgrundlagen der Raum und Fachplanung im Bereich der Klimaanpassung behandelt. Demnach wird die Anpassung an die Folgen des Klimawandels als eine neue, wichtige und dringende gesellschaftliche
Herausforderung aufgefasst, die sich im gesamten Planungs- und Ordnungsrecht niederschlägt.
Die Autoren beschreiben die Herausforderungen für die Stadtplanung:
„Um den Folgen des Klimawandels durch wirksame Anpassungsmaßnahmen gezielt begegnen zu können, bedarf es einer Vergewisserung über die beabsichtigten Einflussmöglichkeiten von planerischer Steuerung im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels. Neuartig gegenüber der bisherigen Betrachtung klimatischer Gegebenheiten sind dabei das Maß der Vielfalt, Dynamik, Ungewissheit und Dezentralität sowie der Langfristigkeit von Folgewirkungen durch die klimatischen Veränderungen; überdies werden zukünftig Städte und Regionen von (negativen) klimatischen Effekten betroffen sein, die bislang hiervon noch unberührt waren …“
Zum Baurecht ist ein wichtiger Absatz zu finden:
„Mit der Teilnovellierung des Baugesetzbuches 2011 (sog. Klimaschutznovelle) fanden die Belange von Klimaschutz und Klimaanpassung auch explizit Einzug in das Recht der Bauleitplanung. Neben der Absicherung einer menschenwürdigen Umwelt und dem Schutz bzw. der Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen sollen Bauleitpläne nun den Klimaschutz und die Klimaanpassung insbesondere auch in der Stadtentwicklung fördern (§ 1 Abs. 5 S. 2 BauGB). Der Gesetzgeber hat hierzu differenzierte Regelungsmöglichkeiten ausformuliert (§ 5 Abs. 2 sowie § 9 Abs. 1 BauGB). Im Bereich der kommunalen Planung wird den Trägern der Bauleitplanung damit gegenüber dem bisher geltenden Recht eine konkrete Rechtsgrundlage an die Hand gegeben, um Maßnahmen, die der Anpassung an den Klimawandel dienen, planerisch vorzubereiten und zu steuern. Dabei steht die Klimaanpassung in der planerischen Abwägung sowohl auf der Raumordnungs- als auch auf Bauleitplanungsebene (§ 7 Abs. 2 S. 1 ROG, § 1 Abs. 7 BauGB) zunächst gleichwertig neben allen anderen Belangen, die gegeneinander und untereinander abzuwägen sind.“
Für große städtebauliche Vorhaben wie etwa am Pankower Tor stellt das Baurecht besondere Anforderungen, denn Klimaschutz und Wasserwirtschaft müssen auf verläßlichen und methodischen Grundlagen geplant werden. Die notwendigen Grundlagen erfordern auch in der Regel umfangreiche und zeitraubende Gutachten und Prognosemodelle, die rechtzeitig in Auftrag gegeben werden müssen. Liegen diese Gutachten und Prognosen nicht vor, ist eine städtebauliche Entwurfsplanung mängelbehaftet. Eine Genehmigung kann dann schell juristisch angefochten werden, weil keine gleichwertige Abwägung möglich war.
Dilemma für die Stadtplanung am Pankower Tor
Die grundsätzliche Gleichwertigkeit der Abwägung der Belange … „wird auch nicht durch § 1a Abs. 5 S. 1 BauGB aufgehoben, wonach „den Erfordernissen des Klimaschutzes […] durch Maßnahmen, die der Anpassung an den Klimawandel dienen, Rechnung getragen werden [soll].“
Weiter heißt es:
„Anpassungsbezogene Planungsgrundsätze – wie bspw. der sparsame und schonende Umgang mit Grund und Boden – können aber mit Vorrang zum Tragen kommen, wenn beispielsweise „die [klimabedingten] allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die [klimabedingte] Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung“ gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB oder „die Belange des Hochwasserschutzes“ gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB bei der Aufstellung von Bauleitplänen besonders zu berücksichtigen sind.“
Klimaschutz und Vulnerabilität im Umweltatlas Berlin
Wichtige Planungsgrundlagen sind in Berlin bereits im „Umweltportal: Digitaler Umweltatlas Berlin“ zu finden. Im Umweltatlas Berlin finden sich auch entsprechende Detailkarten.
Seit mehr als 25 Jahren werden in Berlin Erhebungen zur Stadtklimatologie durchgeführt und Daten gewonnen und in einem Klimamodell berechnet und bewertet. Aktuell liegt mit den Ergebnissen der Anwendung des Klimamodells FITNAH eine umfassende Bestandsaufnahme der heutigen klimatischen Situation im Stadtgebiet und im näheren Umland vor.
Vor allem Stadtplaner, Anwohner und zuständige Bezirkspolitiker und Bezirksamt sollten sich mit den Fakten der Analysekarten rund um das Pankower Tor vertraut machen ( Umweltatlas Berlin: 04.12 Klimawandel und Wärmebelastung der Zukunft (Ausgabe 2010) ).
Da am Pankower Tor die letzte Kaltluftschneise (aus Richtung Nordost) und die überflutungsgefährdete Flußaue der Panke zusammen treffen, haben stadtklimatische und wasserwirtschaftliche Belange besondere Prioritäten.
Das bisher vorherrschende Lokalklima wird durch die umfassende städtebauliche Planung verändert. Die Lage und Ausdehnung bisheriger städtischer „Wärmeinseln“ wird verändert, wobei heute schon das Kissingen-Viertel ein Stadtgebiet mit erhöhter „Vulnerabilität“ in sommmerlichen Hitzeperioden ist.
Im gesamten städtebaulichen Umfeld des Entwicklungsvorhabens „Pankower Tor“ sind stadtklimatische und wasserwirtschaftliche Funktionszusammenhänge zwischen Siedlungs- und Grünräumen von besonderen Belang und müssen als Aspekte der Umweltvorsorge und Stadtentwicklung beachtet werden. Vor allem dem Gesundheitsschutz älterer Menschen muß mehr Beachtung geschenkt werden, denn lange Hitzeperioden in der Stadt sorgen für messbare Zahlen einer „erhöhten Gesamtmortalität.“
„Die größten sogenannten Überschussmortalitäten, welche als hitzebezogene zusätzliche Sterblichkeit (zusätzlich zur Basisrate der Gesamtmortalität) verstanden wird und eine statistisch berechnete Größe darstellt, wurden für die Jahre 2006 und 2010 anhand des hitzeereignisbasierten Risikomodells von Scherer et al. (2013) ermittelt (04.11 Klimamodell Berlin – Planungshinweise Stadtklima (Ausgabe 2016)).“
Klimaschutz & Wasserwirtschaft am Pankower Tor
Die Thenmen Klimaschutz & Wasserwirtschaft haben bislang in 10 Jahren Planungsverfahren am Pankow Tor keine Rolle gespielt. Folglich sind bisher auch keine Abwägungs- und Genehmigungsentscheidungen möglich, weil die Grundlagen fehlen, und wichtige Schutzaspekte der Anlieger und späteren Bewohner nicht erörtert sind. Investor und Stadtplanung sind bisher ihrer städtebaulichen Verantwortung nicht gerecht geworden, obwohl der Senat Berlin wichtige Rahmenvorgaben beachtet hat, aber ausgerechnet am größten städtebaulichen Vorhaben in Pankow nicht in „stadtplanerische Vorgaben“ übersetzt.
Tatkräftige Unterstützung für den Investor könnte von der Berliner Regenwasser-Agentur kommen, die auch im Sinne der Optimierung kommunaler Ziele der Stadtentwässerung tätig wird. Vor allem Bündnis 90/Grüne in Pankow und ihr für die Stadtplanung zuständiger Stadtrat müssen sich nun langsam aus der Deckung wagen, und auf eine umfassende Vorsorge bei Klimaschutz & Wasserwirtschaft am Pankower Tor sorgen.
Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz gab bei Gründung der Regenwasser-Agentur die Leitlinie vor:
„Die Gründung der Regenwasseragentur ist ein wichtiger Schritt Berlin als lebenswerte Metropole zu erhalten“, sagte sie „Neue Herausforderungen wie zunehmende Starkregenereignisse und Hitzewellen durch den beschleunigten Klimawandel verlangen neue Antworten. Die dezentrale Bewirtschaftung von Regenwasser ist hier ein wichtiger Baustein. Die Regenwasseragentur soll zentraler Treiber in der Stadt für diese Anpassungsprozesse werden.“
Die Bürgerinnen und Bürger in Pankow und vor allem die nachwachsende Generation können sich nun fragen, wer künftig in Pankow auch politische Kraft hat, um für Klimaschutz, Umweltvorsorge und Gesundheitsvorsorge „zum politischen Treiber“ zu werden!
Weitere Informationen:
Inge Ahlhelm, Stefan Frerichs, Ajo Hinzen, Bernd Noky, André Simon, Christoph Riegel, Anika Trum, Astrid Altenburg, Gerold Janssen, Carolin Rubel
Gestaltungsmöglichkeiten der Raumordnung und Bauleitplanung
Klimaanpassung in der räumlichen Planung
Starkregen, Hochwasser, Massenbewegungen, Hitze, Dürre
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