Dr. Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates im Bundeskanzleramt, hat sich heute in einer Stellungnahme zur sogenannten Bonpflicht geäußert. Die Stellungnahme wird ungekürzt veröffentlicht.
Dr. Johannes Ludewig:
„Politik muss früher bedenken, was passiert, wenn Gesetze auf Wirklichkeit treffen!“
„Die zum 1. Januar 2020 in Kraft getretene Bonpflicht hat in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen für viel Aufregung gesorgt. Bilder von überquellenden Papierkörben finden immer wieder den Weg in die Medien und sind zum Dauerbrenner in den sozialen Netzwerken geworden – nicht ganz unverständlich, nachdem wir in der Bundesrepublik 70 Jahre ganz gut ohne eine solche Pflicht ausgekommen sind.
Die Hoffnung, dass die Bundesregierung für diese überbürokratische Regelung kurzfristig eine praktikable Lösung findet, ist durch die Ergebnisse des gestrigen Koalitionsausschusses nicht erfüllt worden. Das ist umso bedauerlicher, als konkrete Vorschläge auf dem Tisch gelegen haben. So hätte etwa die Einführung einer Bagatellklausel – wie gerade von unseren französischen Nachbarn angekündigt – die Massengeschäfte mit einem Wert von unter 10 Euro von der Bonpflicht befreit. Das Spannungsfeld zwischen der Verhinderung von Steuerhinterziehung und unnötiger Bürokratie hätte damit möglicherweise durchaus zu einem besseren Ausgleich gebracht werden können.
Die Bonpflicht ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich die Politik im Vorfeld neuer gesetzlicher Regelungen wesentlich intensiver als bisher mit den Gesetzesfolgen, einschließlich der praktischen Umsetzung solcher Regelungen auseinandersetzen muss. Ohne eine solche konkrete Praktikabilitäts- und Bürokratieprüfung vorzunehmen, wurde die Bonpflicht im parlamentarischen Verfahren, also im Endstadium der Beratungen im Parlament, auf die Schnelle noch in den Gesetzentwurf eingebaut und beschlossen. Der NKR wurde nicht konsultiert. Bereits damals hätte man durchaus erkennen können, welche bürokratischen Folgen die Bonpflicht hat. Warum dies unterlassen wurde, bleibt eine offene Frage.
Der Nationale Normenkontrollrat würde es sehr begrüßen, wenn die Bundesregierung zeitnah Abhilfe schaffen und bei der Erarbeitung der Abhilfe den NKR, der ja genau für solche Bürokratieprüfungen geschaffen wurde, einbeziehen würde.“
Über den Nationalen Normenkontrollrat
Mit dem Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ legte die Bundesregierung im April 2006 ein konsistentes Gesamtkonzept für bessere Rechtsetzung vor. Mit der Einführung des NKR-Gesetzes in 2006 wurden zunächst nur die Bürokratiekosten aus Regelungsvorhaben der Bundesregierung ermittelt – dies sind durch Regelungen auferlegte Informationspflichten wie Anzeige- und Statistikpflichten. Hierzu diente das so genannte Standard-Kosten-Modell (SKM).
Seitdem hat der NKR mit vielen entscheidenden Schritten die Methodiken weiter entwickelt und ist heute in der EU führend, um in der Prüfung von Gesetzes- und Regelungsentwürfen im Ex ante-Verfahren unnötige Bürokratie bzw. Folgekosten zu verhindern. Bevor Regelungen vom Kabinett beschlossen werden, prüft der NKR die von den Ministerien erarbeiteten Schätzungen der Kostenfolgen für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung. Der NKR arbeitet mit verschiedenen europäischen und internationalen Organisationen und Gremien für bessere Rechtsetzung und Abbau von Kostenbelastungen durch Rechtsakte zusammen.
Inzwischen hat der NKR wichtige Arbeit für den Bürokratieabbau, zum E-Govermnent, zur Digitalisierung und zur besseren Rechtsetzung erarbeitet.
Der Nationale Normenkontrollrat arbeitet nach dem Berichterstatterprinzip: Jedes Mitglied betreut ein oder mehrere Ressorts. In den in der Regel 14tägig stattfindenden Sitzungen im Bundeskanzleramt werden die Stellungnahmen zu den Regelungsvorhaben beschlossen. Unter der Leitung von Dr. Johannes Ludewig sind bisher alle Beschlüsse einstimmig gefasst worden, obwohl einfache Mehrheiten nach dem NKR-Gesetz ausreichen. Über seine Tätigkeit, die Entwicklung der Folgekosten von Gesetzen sowie seine Initiativen für bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau berichtet der NKR jährlich der Bundesregierung und veröffentlicht einen Jahresbericht.
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