Im öffentlichen Straßenland abgestellte Fahrräder verwandeln sich oft über Nacht in Schrottfahrräder. Mal wird ein Sattel demontiert und gestohlen, manchmal aber auch ein Rad, oder wertvolle Teile wie eine Gangschaltung. Oft werden abgestellte Fahrräder auch zum Gegenstand von Wutattacken. Gezielte Fußtritte verbiegen Räder und Lenker – ein fahruntüchtiges Fahrrad bleibt oft angeschlossen zurück. Es kann jeden treffen. Viele Besitzende geben danach auf, lassen ihre „Fahrradleiche“ zurück.
Sicher gibt es noch viele andere Ursachen, warum Fahrräder „herrenlos“ werden. In jedem Fall wird wertvoller Platz in Anspruch genommen – vor allem werden viele Fahrradständer so von Schrottresten blockiert.
Schrottfahrräder werden zum öffentlichen Ärgernis. Abhilfe soll ein staatlich organisierter Mechanismus schaffen, der auf ein tief verankertes Grundmuster sozialdemokratischer und bürokratischer Politik aufbaut:
Es wird eine arbeitsteilige „öffentliche Dienstleistung“ kreiert, die auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, mit ebenso unterschiedlichen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten aufbaut. Dabei entfaltet auch der Fundort des Schrottfahrrades eine besondere bürokratische Wirkung, denn die Rechtsgrundlagen für öffentliches Straßenland, Privatland und öffentliche Grünflächen sind völlig unterschiedlich:
– Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Berlin -Krw-/AbfG- (Privatgelände)
– Straßenreinigungsgesetz -StrReinG- (öffentl. Straßenland)
– Berliner Straßengesetz -BerlStrG- (öffentl. Straßenland)
– Grünanlagengesetz -GrünanlG- (öffentl. Grünflächen)
– Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- (Privatgelände)
Das Abbfallrecht institutionalisiert ein übergreifendes Verwertungsziel. Tatsächlich handelt es sich bei herrenlosen Fahrrädern auch übrwiegend um verwertbaren Schrott. Ausführende entsorgungspflichtige Körperschaft wäre die landeseigene Berliner Stadtreinigung, falls sie beauftragt wird.
Dienstleistungen: Meldewesen und Ordnung – Fahrräder (illegal) – Entsorgung
Im öffentlichen Raum ist der jeweilige Ordnungsstadtrat des Bezirkes zuständig, dessen allgemeiner Ordnungsdienst in Pankow jedoch nur mit wenigen Mitarbeitenden für 105 Quadratkilometer Bezirksfläche besetzt ist.
Hilfestellung soll von der vom Land Berlin zur Verfügung gestellten mobile Applikation “Ordnungsamt-Online.” kommen. Sie ermöglicht allen Bürgerinnen und Bürgern das Melden von Störungen im öffentlichen Raum. Die Meldung wird an das jeweils zuständige Bezirksamt weitergeleitet. Ersatzweise können illegaler Abfall und Schrottfahrräder auch über das Stadtportal Berlin.de gemeldet werden. Auch telefonisch kann Meldung gemacht werden.
Die Beschwerde muss folgende Angaben enthalten: Ort und Zeit, Anzahl, Verursacher (falls bekannt) und persönliche Daten. Was nicht abgefragt wird: ob das Schrottfahrrad auf öffentlichen Land, Privatland oder in einer öffentlichen Grünanlage vorgefunden wurde. Dies ist für Laien gar nicht so einfach beantwortbar, denn im Umfeld von Bahnhöfen, Einkaufscentern und öffentlichen Einrichtungen grenzen öffentlicher Raum und öffentich zugänglicher privater Raum aneinander. Mancher Fahrradständer steht so auch auf Bahnhofsgelände, das allenfalls durch Pflasterkanten und unterschiedlicher Pflasterungen erkennbar ist. Bei Grünflächen kommt erschwerend hinzu, dass Grünflächenämter und BSR auf manchen Flächen ihre Zuständigkeit sogar teilen.
Digitalisierter Verwaltungsakt mit 2-3 Monaten Bearbeitungszeit
Die unter sozialdemokratischer Ägide ersonnene öffentliche Dienstleistung „Fahrräder (illegal ) Entsorgung“ wird so zum digitalisiertn Verwaltungsakt mit einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von circa 2 – 3 Monaten auf öffentlichem Straßenland. Von Grünflächen und öffentlich zugänglichen Privatflächen ist dabei noch nicht die Rede. Interessant ist dabei: man gibt im Stadtportal ganz offen zu: 2-3 Monate Bearbeitungszeit sind normal, um ein Schrottfahrrad aus dem öffentlichen Raum zu entsorgen.
Eigentlich müßte das Ordnungsamt auch noch prüfen, wer der Verursacher ist, und ggf. ein Bußgeld von 35 € erheben. Doch der Aufwand ist bei bis zu drei Monate vor sich hingammelnden Schrottfahrrädern offenbar unverhältnismäßig hoch.
Pankower Ordnungsstadtrat Krüger von SPD-Fraktionsvorsitzenden in der BVV gerügt
In der letzten BVV-Sitzung hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Roland Schröder den von der AfD nominierten Ordnungsstadtrat Daniel Krüger öffentlich angezählt. Er warf ihm mangelndes Arbeitsethos in Sachen Schrottfahrräder vor. So kann man sich elegant der eigenen politischen Verantwortung entziehen, und die Verantwortung für einen bürokratisch mißratenen und falsch konzipierten Verwaltungsprozeß auf den politischen Gegner abladen.
Ausgerechnet Sozialdemokraten in Berlin haben über die Jahrzehnte ein bürokratisches Chaos aufgebaut, mitverantwortet und konzeptionell angelegt, das nun hohe Folgekosten und beständige Qualitätsprobleme verursacht.
Ein Schrottfahrrad, eine App und zwei entsorgungspflichtige Körperschaften
Mit der Anwwendung Ordnungsamt-Online und der Melde-App wurde die Digitalisierung der Verwaltung voran getrieben. Die Berliner Stadtreinigung bekommt als mit den Entsorgungspflichten beauftragtes landeseigenes Unternehmen das Ordnungsamt an die Seite gestellt. Bevor bei der BSR beschäftigte Mitarbeiter mit Sammelfahrzeug und Bolzenschneider anrücken können, muss das Ordnungsamt einen Mitarbeiter in Gang setzen, der die Entsorgung durch die BSR beauftragt. Die wird aber nur auf öffentlichen Straßenland tätig.
Was passiert jedoch, wenn niemand die Melde-App aus freien Stücken betätigt? Oder wenn sich Bürger vor Ort verabreden, überhaupt keine Schrottfahrräder mehr zu melden, um den unliebsamen Stadtrat aus dem Amt zu kicken?
Der Ordnungsstadtrat kann es drehen und wenden, wie er will, er hat immer der schwarzen Peter. In Grünanlagen die von der BSR gepflegt werden, kann ein gemeldetes Schrottfahrrad zum Suchspiel werden, weil noch während die Meldung im Bearbeitungsgang liegt, eine turnusmäßige Abfallbeseitigung das Problem im Nebengang löst.
Die Erfindung mit der Melde-App erweist sich als aufwändig und problematisch, denn das Ordnungsamt wird ganz ohne formellen Bestellungsakt in eine zweite entsorgungspflichtige Körperschaft verwandelt, die bei jeder Meldung handeln muß. Es sind jedoch nur „Teilpflichten“: aus einem Schrottfahrrad wird ein Verwaltungsakt, der Prüfung, Kostenübernahme und Beauftragung zur Verwertung/Entsorgung beinhaltet. Die Kosten der Entsorgung von Schrotträdern explodieren, je nach dem ob auch noch eine „Inaugenscheinahme“ des Fundortes notwendig wird.
Die BSR rückt wiederum nicht für jedes einzeln gemeldete Schrottfahrrad aus, sondern stellt Touren zusammen. Es ist daher kein Wunder, wenn es im Einzelfall trotz großer verfügbarer Personal-Ressourcen und stattlicher Zahlen von BSR-Fahrzeugen etwas länger dauert.
Offenbar gibt es zu viele Zuständigkeiten, eine unsichere Meldekette, geteilte Verantwortungen und eine falsch delegierte Kostenverantwortung – deren Hauptlasten am Ende der Steuer- und Gebührenzahler trägt. Auch hier gilt offenbar die Regel „„Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess“ (Thorsten Dirks, CEO der Telefónica Deutschland AG). Es gibt offenbar ein „organisiertes Versagen“, bei dem Ordnungsstadträte praktisch nie gewinnen können.
Geht es nicht auch einfacher?
Das „sozialdemokratisch digitale Geschäftsmodell“ der Dienstleistung „Fahrräder (illegal) – Entsorgung“ ist offenbar ein keine nachhaltige und kosteneffektive Problemlösung. Da Ordnungsstadträte über keine Schwärme von Mitarbeitern verfügen, können sie die flächendeckende Problematik wohl auch nie zufriedenstellend lösen. Der staatlich-bürokratische Geschäftsprozeß muss offenbar transformiert werden.
Wenn staatliche Problemlösungen versagen, kann nach privatwirtschaftlichen Problemlösungen gesucht werden. Aus Tempelhof-Schöneberg kommt sogar ein „Social-Business-Ansatz“, der Verwertung vor Entsorgung möglich macht. Wiederverwendbare Teile werden sogar für aufbereitete Fahrräder nutzbar gemacht. Das Unternehmen wird sogar zum Rohstoff-Lieferant für soziale Fahrrad-Werkstätten, der die Teileversorgung sichert.
Christian Pfuhl aus Friedenau hat das Unternehmen gegründet: www.fahrradleichen.de geht sogar noch weiter und spricht damit Hausverwaltungen an: „Wir holen Ihre Leichen aus dem Keller!“. Über 50% der abgeholten Fahrräder werden an soziale Werkstätten abgegeben. Auch in Pankow!