/// Glosse /// – Kurz vor Weihnachten hat das Bezirksamt Pankow den Start eines Forschungsprojekts bekannt gegeben. Die sprachliche Form der Pressemitteilung vom 20.12.2017 „Auftakt für Forschungsprojekt Mobilitätsberichterstattung“ hat einiges Nachdenken in der Redaktion ausgelöst. Der Grund: viele der verwendeten Begriffe und zusammengesetzten Sprachformeln haben eine „seltsam luftige und abstrakte Form“, deren Sinn sich nur unter Zuhilfenahme von dritten Quellen erschließen läßt.
Kostprobe: „Der Bezirk Pankow geht neue Wege zur Bestimmung der Mobilen Zukunft und startet heute mit einem Treffen der Partner das Forschungsprojekt Mobilitätsberichterstattung. Erstmalig wird in Berlin die Umweltgerechtigkeitsanalyse in die integrierte Verkehrsplanung als Beitrag für mehr Gerechtigkeit und eine bessere Wahrnehmung von Umweltbelastungen integriert. Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Initiative Zukunftsstadt geförderten Projekts ist die sozial-ökologische und -gerechte Transformation der urbanen Mobilität.“
Die Vielzahl der akademischen und administrativen Beteiligten deutet darauf hin, dass es sich auf „bewußte Formulierungen“ handelt. Anders als bei unwillkürlichen sprachlichen Fehlern, für die es „linguistische Versprecher-Theorien“ gibt, haben wir es hier offenbar nicht mit „Denkfehlern“ zu tun, sondern mit akademischen und verkehrspolitischen Idiosynkrasien. Hinter denen lauern neue Politikziele, neue staatliche Aufgaben und fachpolitische Ansätze zur Lenkung und Planung von Bürgern.
Wie kommt man nun dem Sinn der Formulierungen auf die Spur? Zuerst mit Fragen nach Begriffen und Formulierungen:
– was sind neue Wege zur Bestimmung der Mobilen Zukunft?
– was ist Mobilitätsberichterstattung?
– was ist eine Umweltgerechtigkeitsanalyse?
– wie kann man eine Umweltgerechtigkeitsanalyse in die integrierte Verkehrsplanung integrieren?
– wie kann dies als Beitrag für mehr Gerechtigkeit und Wahrnehmung von Umweltbelastungen vonstatten gehen?
Neue staatlichen Aufgabe „Mobilitätsberichterstattung“?
Die Etablierung einer staatlichen Aufgabe „Mobilitätsberichterstattung“ ist ein Herzenswunsch der Verkehrsplaner. Um Verkehr und Mobilität auf kommunaler Ebene gestalten zu können, bedarf es Kenntnisse der Mobilitätsbedürfnisse und ihrer praktischen Umsetzung in Fahrzeugverkehr. Analog zur gesetzlich vorgeschriebenen Gesundheitsberichterstattung sollte der Bund die Länder ver- pflichten, eine Mobilitätsberichterstattung zu ebtablieren.
Gäbe es eine Mobilitätsberichterstattung für das Jahr 2017, so müsste darin vermerkt werden: ein Großteil des dieselgetriebenen Individualverkehrs findet wegen Abgasbetrug und illegaler Software-Funktionen ohne gesetzliche Grundlage statt. Zugleich müsste berichtet werden, dass aufgrund unzulässig hoher Stickoxid- und Feinstaubwerte es immer wahrscheinlicher wird, Fahrverbote und Verkehrseinschränkungen vornehmen zu müssen, um die Ziele der „Gesundheitsberichtserstattung“ nicht aus dem Auge zu verlieren.
Außerdem muss aufgrund exorbítanter Werbemaßnahmen wie „Black Friday“ und „CyberMonday“-Verkaufsaktionen im Online-Handel mit einem zeitweiligen Zusammenbruch des Lieferverkehrs in der Innenstadt und der Blockierung von Fahrrad-Spuren durch haltenden Kurierfahrzeuge gerechnet werden. Eine smarte „Mobilitätsberichterstattung“ wäre eine „Super-Sache“, die neben Wetterbericht, S-Bahn-Twitter und VBB-Karte in die Pankower Allgemeine Zeitung einzubauen ist.
Umweltgerechtigkeitsanalyse auch beim Verkehr?
Die Umweltgerechtigkeitsanalyse basiert auf den aggregierten Daten des Berliner Umweltatlas. Zitat: „Der Begriff Umweltgerechtigkeit befasst sich mit Art, Ausmaß und Folgen ungleicher sozialer Verteilungen von Umweltbelastungen und den Gründen dafür. Schon lange ist bekannt und wissenschaftlich belegt, dass die soziale Lage mit über den Gesundheitszustand eines Menschen entscheidet und die Lebenserwartung beeinflusst. Der Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und gesundheitsgefährdenden Wohn- und Wohnumfeldbedingungen – und den Wirkungszusammenhängen – ist in Deutschland bisher jedoch wenig untersucht worden. Und so fehlt eine weitgehend gesundheitsbezogene Risikoanalyse und -bewertung. Dies hat vor allem Bedeutung bei der Entwicklung und Umsetzung integrativer Strategien, Konzepte und Maßnahmen und gilt insbesondere für hoch verdichtete Stadtteile“ (aus: Umweltatlas Berlin 09.01 Umweltgerechtigkeit (Ausgabe 2015)).
„Umweltgerechtigkeit kann nur als ein multidimensionales Thema betrachtet werden, es bedarf der integrierten Analyse und zusammenführenden Darstellung verschiedener Umweltbelastungen, aber auch von Umweltressourcen in ihrer sozialräumlichen Verteilung“. In vier integrierten Mehrfachbelastungskarten wird die Umweltgerechtigkeit dargestellt.
Würde die Umweltgerechtigkeit anhand der Mehrfachbelastungskarte tatsächlich zur Planungsgrundlage, so sieht es nicht gut aus für Investor Krieger am Pankower Tor: Lärm, Verkehrslärm und thermische Überlastung und fehlendes Grün in Pankow Süd legen nahe, das Gelände der ehemaligen Rangierbahnhofs Pankow besser nicht zu bebauen. Stattdessen könnte man aus Gründen der Umweltgerechtigkeit besser eine grüne Klimaschneise mit dichten Bäumen und Lärmschutzfunktionen schaffen. Auf keinen Fall darf es mehr motorisierten Verkehr mit „Verbrennungsmotoren“ geben!
Projektbeteiligte und ihre zusammengesetzte politische Aufgabe
Erst am Ende der Pressemitteilung kommt Klartext: „Beteiligt sind die Abteilung Stadtentwicklung und Bürgerdienste des Bezirksamtes Pankow, das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung der Technischen Universität (TU) Berlin sowie die Professur für Verkehrsökologie der TU Dresden. Es sollen ein neues Verkehrsplanungsinstrument geschaffen und bis 2020 ein „MobilBericht“ auf Bezirksebene entwickelt und publiziert werden.“ Mobilitätsbericht und „MobilBericht“ werden jeweils synonym gebraucht.
Offensichtlich will man das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung näher untersuchen, und einer Planung und politischen Steuerungsmaßnahmen zugänglich machen. O-Ton: „Dabei soll das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung stärker in den Fokus gerückt und ebenso soziale Unterschiede berücksichtigt werden, um gleiche Mobilitäts- und Lebenschancen herzustellen. Wesentliche Grundlage des Planungsinstruments ist daher die Integration der Informationen von Pankowerinnen und Pankowern zur Wahrnehmung des Verkehrs und eigener Bedürfnisse an Mobilität für die Entwicklung einer neuen Verkehrspolitik.“
Weiter heißt es im akademisch komplizierten Planer-Deutsch:
„Dafür wird in der Erhebung nach dem System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) im Jahr 2018 eine Zusatzbefragung im Bezirk durchgeführt und das Bezirksamt Pankow bittet bereits jetzt um rege Beteiligung. Um Gefahrenquellen zu analysieren und Ideen für neue Verkehrslösungen mit den Betroffenen zu diskutieren, werden in den kommenden zwei Jahren Verkehrsbeobachtungen durchgeführt. Auch sollen mit der Lokalbevölkerung Karten erstellt werden, um positive und negative Verkehrs- und Aufenthaltsräume im Bezirk partizipativ zu erfassen und gegebenenfalls bereits Verbesserungen zu entwickeln.“
Damit die Katze aus dem Sack: Forschung soll der Verkehrspolitik helfen, um künftig Mobilität und Mobobilitätsverhalten steuern zu können! Man kann nur hoffen, die Freiheit der Verkehrsmittelwahl wird dabei nicht immer weiter eingeschränkt!
Am Institut für Verkehrsökologie hat man klare Vorstellungen, wie das Instrument entwickelt werden soll:
„Gemeinsam mit der TU Berlin und dem Bezirk Berlin-Pankow wird erstmals eine konsistente Datenbasis für eine nutzerInnen- und bedürfnisorientierte Planung erhoben.“
„Dieser sowohl quantitative als auch qualitative Ansatz ermöglicht die Etablierung eines bezirklichen Mobilitätsmanagements mit dem Fokus auf Partizipation und sozial-ökologische Nachhaltigkeit.“
Partitipativ geht nicht ohne Diskussionen und einen weiteren „Beauftragten“
Auf die Pankowerinnen und Pankower kommt künftig viel Koordinationsarbeit zu. Weiter im O-Zitat der Pressemitteilung:
„Die Anliegen von Vereinen und Interessensgruppen werden in die Erarbeitung des „MobilBerichts“ durch regelmäßige und in allen Projektphasen stattfindende Fokusgruppendiskussionen einfließen. Durch Erreichbarkeitsanalysen soll zur Förderung der Nahmobilität und nachhaltigeren Verkehrsentwicklung im Bezirk beigetragen werden, um durch Verkehrsvermeidung und Verringerung des umweltgefährdenden Verkehrs bessere Leben- und Umweltbedingungen zu schaffen. Für die Mobilitätsberichterstattung wird der Bezirk einen Mobilitätsbeauftragten einsetzen, der die Umsetzung aktiv unterstützt und begleitet. Der „MobilBericht“ soll der Öffentlichkeit zur weiteren Zusammenarbeit zugänglich und nach der Pilotphase durch eine regelmäßige Fortschreibung weiter verstetigt werden. Weitere Informationen über das Büro des Bezirksstadtrates Vollrad Kuhn, Tel.: 030 90295-8588, E-Mail: vollrad.kuhn@ba-pankow.berlin.de“
Die Zukunft der Mobilität wird in „MobilBerichten“ verhandelt
Man kann sich schon heute die Zukunft vorstellen: im künftigen Pankower Mobilitätsbericht werden sich alle verkehrspolitischen und nachbarschaftlichen Diskussionen und Beschlußlagen wiederfinden. Die Aufstellung von Fahrrad-Hangars im öffentlichen Straßenland, Höhenbegrenzer an Garagen zwecks Vergrämung von SUVs, Carsharing-Stationen und Mietstationen für Lastenfahrräder. Der Einsatz von DHL/Amazon-Mannschafts-Sattelschleppern als rollende Paket-Hubs wird dem Lieferchaos ein Ende bereiten. Mobile Straßen-Cafés kommen zu den Bewohnern in den Kiez fahren, und richten temporäre Parklets neben Carsharing-Stationen ein, damit ältere Menschen keine beschwerlich langen Wege mehr fahren müssen. Pflege-Container fahren vor Häusern vor, und versorgen Bewohner mit Dienstleistungen zur Körperpflege, wie Frisör, Nagelstudio, Fußpflege, Hygiene und Kleiderwechsel.
Die Null-Mobilität-Diät wird kommen: Menschen die zu Hause bleiben. Bewegungsmangel wird mit Heim-Generatoren zur Stromerzeugung bekämpft. Die Verkehrswende kommt schließlich wie mit Zauberei! Netflix-VR-Streaming wird das „Apparieren und Disapparieren“ lehren, das Versetzen an andere Orte mit nicht mehr als „Virtual Reality“und Vorstellungskraft.
Die Pankower Allgemeine Zeitung wird schon im ersten „MobilBericht 2019“ vorkommen. Mit der „mausklickbaren ANZEIGIO-Brötchentaste“ auf der Titelseite wird die erste Brötchenlieferung per Lieferdrohne für Zeitungsabonnenten vorgestellt und die Verkehrswende in den Außenbezirken von Pankow mit herbeigeführt.