/// Gastbeitrag /// Siegfried Zoels: Laudatio zur Verleihung des Bezirksmedaille Pankow an Frau Tina Krone
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bitte Sie, sich mit mir auf eine Zeitreise zu begeben:
1. Seit Mai 1982 war Tina Krone Lehrerin für Deutsch und Geschichte an einer Schule in
Weißensee, ihre erste Stelle nach dem Studium. Im Oktober bekommt sie den Text einer
Eingabe gegen das gerade von der DDR-Regierung verabschiedete Wehrdienstgesetz in die
Hände. Das Gesetz bedeutete einen entscheidenden Schritt der weiteren Militarisierung der
DDR. Tina Krone: „Meine Freundin und ich saßen lange, überlegten hin und her, Was, wenn
unsere Söhne, damals gerade ein und zwei Jahre alt, uns später fragen, warum wir trotz
besseren Wissens nichts dagegen getan hätten? Wir unterschrieben beide.“ Am 24.
November 1982 wurde sie mitten aus dem Unterricht herausgeholt, musste zur Schulrätin.
Ihre Direktorin war auch schon da, außerdem ein Mann, der sich als jemand von der
Abteilung Inneres vorstellte. Sie wurde stundenlang bearbeitet, damit sie ihre Unterschrift
zurückzieht. Allerdings machte der Stasi-Mann einen Fehler: Er sprach davon, dass gerade
zum selben Zeitpunkt mit allen Unterzeichnerinnen Gespräche geführt werden. Die
Schlussfolgerung von Tina Krone: Also gibt es noch viel mehr Unterzeichnerinnen – warum
soll ich dann zurückziehen?!
Die unmittelbare Folge: Sie durfte nur noch Unterrichtsvertretungen machen, kurz darauf
wurde die Diplompädagogin als Horterzieherin im Hort der Hilfsschule eingesetzt. ‚Da könne
sie ja nichts anrichten.‘
Sie arbeitet immer korrekt, immer pünktlich, um ja keinen Anhaltspunkt zu geben, gegen sie
vorzugehen. Bis zum Februar 1990 arbeitet Tina Krone als Horterzieherin, dann lässt sie
sich freistellen für den Wahlkampf des NEUEN FORUMs.
Mehr als 10 Jahre später liest sie in Ihren Stasiakten, dass die Stasi sie eigentlich
rausschmeißen wollte, die Genossen der Volksbildung wollten sie aber vor allem in Kontrolle
behalten. Aus den Stasiakten bekommt sie aber auch etwas von der Solidarität der Leiterin
des Hortes mit; sie hat manches abgebogen.

2. Im April 1986 war die Atomkatastrophe von Tschernobyl. Da wurde besonders deutlich,
wie die DDR-Bevölkerung von den offiziellen Medien belogen wurde. Eine kleine illegale
Gruppe, zu der Tina Krone gehörte, diskutierte darüber, wie kann es gelingen, dass kritische
Stimmen mit DDR-Sicht die DDR-Bevölkerung erreicht. Ihre Idee: Sie schreiben im Osten die
Manuskripte und machen die Sendungskonzeption – im Westteil der Stadt wird von Radio-
Freaks aus der Autonomen Szene illegal gesendet. Das Thema der ersten Sendung war
Tschernobyl und die DDR-Informationspolitik, 4 Wochen später folgte die 2. Sendung. Die 3.
Sendung wurde dann nach wenigen Minuten gezielt von der Stasi gestört, sodass dieses
Vorhaben aufgegeben werden musste.
Die Ausstrahlung dieses illegalen Senders hat die Offiziellen auf beiden Seiten der Mauer in
Aufregung versetzt. Aber die Autonomen auf der Westseite wurden nicht gefunden. Die
DDR-Redaktionsgruppe von 5 Leuten hatte glücklicherweise keinen IM unter sich und wurde
nicht verraten.
3. Am Wochenende 9./10.September 1989 wurde der Gründungsaufruf des NEUEN
FORUMs verfasst. Er beginnt mit: „In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat
und Gesellschaft offensichtlich gestört. … Die gestörte Beziehung … lähmt die
schöpferischen Potenzen der Gesellschaft …“ „Wir bilden deshalb gemeinsam eine politische
Plattform für die ganze DDR, die es Menschen aus allen Berufen, Lebenskreisen,
Parteien und Gruppen möglich macht, sich an der Diskussion und Bearbeitung
lebenswichtiger Gesellschaftsprobleme in diesem Land zu beteiligen. … Wir rufen alle
Bürger und Bürgerinnen der DDR, die an der Umgestaltung der Gesellschaft mitwirken
wollen, auf, Mitglieder des NEUEN FORUM zu werden. Die Zeit ist reif.“
Der Partner von Tina Krone war einer der Unterzeichner dieses Aufrufs. Das hieß: Im
Treppenhaus standen täglich Hunderte von Menschen, die bei den Erstunterzeichnern selber
unterschreiben wollten. Die Zeit war reif.
4. Tina Krone war ab März 1990 tätig für den Wahlkampf des NEUEN FORUMs, dann, von
1990 – 1992 Redakteurin der 1. unabhängigen Zeitschrift der DDR „die Andere“, seit Mai
1992 bei der Robert-Havemann-Gesellschaft. Dort hat sie gemeinsam mit weiteren
Bürgerrechtlern das inzwischen umfangreichste Archiv von Opposition und Bürgerbewegung
der DDR aufgebaut und war dort Archivleiterin.
Schon früh gab es ab 1990 Treffen von vielen Aktiven, bei denen sie sich darüber
austauschten, wie die Staatssicherheit, die Partei, die Staatsorgane sie bedrängt hatten, und
wie sie sich gewehrt haben, aber auch: Was muss man wissen, wenn man seine Akten liest.

5. Wie das in den 90igern bis in die 2000er Jahre bei Vereinen so war: Man musste ständig
Anträge schreiben, auf Finanzierungen warten. Fast jedes Jahr mussten sich die Mitarbeiter
der Robert-Havemann-Gesellschaft im November / Dezember beim Arbeitsamt als „Von
Arbeitslosigkeit bedroht“ melden, weil die Bewilligungen der Zuwendungsgeber erst im
Januar / Februar – oder noch später – eintrafen. Manche sind abgesprungen, weil sie das
nicht aushalten konnten.
Erst in diesem Jahr – 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution – ist es uns gelungen, dass
die Robert-Havemann-Gesellschaft regelfinanziert wird durch die Bundesregierung und
durch den Berliner Senat.
6. Der Stadtbezirk Pankow dankt Tina Krone und würdigt ihren gradlinigen und konsequenten
Weg mit der Verleihung der Bezirksmedaille 2019:
– Tina Krone hat Mut und Verantwortung für die Zukunft gezeigt – in einer Diktatur, in der
man nie wusste, wie es ausgehen und wo und wie und mit welchen Konsequenzen die Staatsmacht
Repression ausüben würde.
– Tina Krone hat wesentlichen Anteil an der Aufarbeitung der Diktatur und des Widerstandes
in der DDR.
– Tina Krone hat uns gezeigt, wie notwendig es ist, Informationen – nicht fake news – zu
verbreiten, und Zeugnis davon abzulegen, wie Diktatur funktioniert.
Sie hat einen wesentlichen Beitrag dazu geliefert, dass die Nachgeborenen in die Lage
versetzt werden, Diktaturansätze zu erkennen und nicht Populisten nachzulaufen.