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Umstrittenes Museum des 20. Jahrhunderts

Der Siegerentwurf des Realisierungswettbewerbs steht seit dem 26. Oktober 2016 fest: Das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron wird gemeinsam mit Vogt Landschaftsarchitekten aus Zürich den Neubau für das Museum „Neue Nationalgalerie – Museum des 20. Jahrhunderts“ am Berliner Kulturforum errichten. Getroffen hat diese Entscheidung das Preisgericht unter Vorsitz von Arno Lederer. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz führte zuvor ein zweistufiges Wettbewerbsverfahren durch, an dem namhafte internationale Architekten und Planungsbüros teilnahmen.

Der Entwurf des schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron ist hoch umstritten, eine Absicht, die wohl auch intendiert war, denn im Erläuterungsbericht schreiben die Architekten:

„Das Haus für die Kunst des 20.Jahrhunderts wirkt von verschiedenen Seiten ganz unterschiedlich: Ist es eine Lagerhalle? Oder eine Scheune? Oder vielleicht eine Bahnhofshalle? Ist es nicht vielmehr ein Tempel, mit den exakt gleichen Giebelproportionen wie die Alte Nationalgalerie von August Stüler? Tatsächlich ist es ein Ort des Lagerns wie eine Lagerhalle, ein Ort der Vorräte und der Nahrung wie ein landwirtschaftlicher Betrieb, ein Ort der Begegnung und der Verbindung wie eine Bahnhofshalle. Und – wie ein Tempel – ist es auch ein Ort der Stille und des Nachdenkens, der Wahrnehmung von Kunst, der Wahrnehmung von sich selbst.“

 

Der neue Entwurf hat eine beachtliche Welle der Kritik ausgelöst, die von „stürmischer Begeisterung“ bis zum völligen Verriß reichte. Sabine Bergk nannte den Entwurf in der Zeitschrift „Cicero“ sogar „Tarnkappenlagerhallenarchitektur„, und schrieb die bisher schärfste Kritik.

Herrmann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz lobt den Entwurf, weil er geeignet ist, unterschiedliche Künste in den Dialog zu bringen, und sich der Gesellschaft öffnet. „Der Entwurf hat eine wunderbare Verbindung geschaffen, zwischen allen Akteuren hier auf dem Kulturforum, nicht nur zwischen Mies van der Rohe und Scharoun, sondern auch die Verbindung der Staatsbibliothek zum Kulturforum …“. Er hob auch das Engagement von Kulturstaatsministerin Dr. Monika Grütters hervor, die das Projekt vorangetrieben hat, und in Zusammenarbeit mit vielen Beteiligten nur zwei Jahren bis zum baureifen Entwurf gelangt sind.

Zur Eröffnung der Ausstellung mit den 40 Entwürfen diskutierten Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, Pierre de Meuron und Ascan Mergenthaler von Herzog & de Meuron und Arno Lederer, Vorsitzender des Preisgerichts, moderiert von Claudia Henne, Rundfunk Berlin-Brandenburg, in einem Podiumsgespräch über den Siegerentwurf des
geplanten Museum des 20. Jahrhunderts.

 

Doch die Kritik am Entwurf des Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron für das Museum des 20. Jahrhunderts reisst nicht ab. Heute hat sich die prominent besetzte Initiative Kulturforum / Kulturbaustelle bei der Stiftung Zukunft Berlin zu Wort gemeldet, und fordert zur Überarbeitung des Architekten-Entwurfs auf.

Vor allem werden städtebauliche und stadträumliche Aspekte angeführt – die Sorge um den öffentlichen Raum und um die angemessene gleichgewichtige Präsenz der Kultursparten im Kulturforum treibt die Verfasser des Thesenpapieres um, das nachfolgend im Wortlaut dokumentiert wird.

Modell: Museum des 20. Jhdts.
Städtebauliches Modell: Museum des 20. Jhdts. von Herzog de Meuron – Screenshot Youtube SWR

M20 – Jetzt beginnt die entscheidende Arbeit

„Das Wettbewerbsergebnis für das Museum für Kunst des 20. Jahrhunderts – kurz M20 – hat dem Kulturforum keine Lösung beschert, die ohne weiteres die städtebaulichen Anforderungen dieses ganz besonderen Ortes erfüllt. Es geht hier nicht nur um einen Berliner Ort, sondern um ein Kulturzentrum europäischen Ranges. Auf das Berliner Kulturforum sind die Augen der Welt gerichtet.

Die Überarbeitung des Siegerentwurfs im Hinblick auf seine stadträumliche und städtebauliche Wirkung wird zur Bewährungsprobe nicht nur für den Auslober.
Die Verantwortung für die weitere Ausarbeitung und Umsetzung des Projektes M20 liegt beim neu gewählten Senat von Berlin, dem 2017 neu zu wählenden Bundestag als Bauherrn, den in der Bundesregierung Verantwortlichen sowie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Bedarfsträger und Nutzer des Museums.

So wie der prämierte Entwurf das Gebäude disponiert und wo er es hinstellt, droht die Zerstörung des öffentlichen Raumes am Kulturform, und die Verantwortlichen sind gefordert, dies noch zu verhindern. Gefordert sind also vor allem der Berliner Senat und insbesondere die neue Stadtentwicklungssenatorin und der neue Kultursenator. Deren Verantwortung betrifft nicht mehr die Vorbereitung und den Verlauf des Wettbewerbsverfahrens, sie greift aber unmittelbar jetzt beim Umgang mit dem Ergebnis.

Im Vorfeld des vorgelagerten „Ideenwettbewerbs“ hatte die Stiftung Zukunft Berlin im Oktober 2015 angemahnt:

„Ein neues Museum ist nicht ohne ein neues Kulturforum zu haben; nicht ohne in System öffentlicher Räume, das inhaltlich und gestalterisch den Anspruch an ein wirkliches „Forum“ einlöst;

räumliche und funktionale Beziehungen zwischen allen Gebäuden, besonders der Philharmonie, der Neuen Nationalgalerie, der Staatsbibliothek und der St. Matthäus-Kirche sowie zum gesamten Umfeld einschließlich Potsdamer und Leipziger Platz;

Entwicklungsperspektiven für die Eingangssituation der Gemäldegalerie und andere Teile des Gebäudebestandes;

Ideen zur Gestaltung der Sigismundstraße, der Tiergartenstraße, des Kanalufers und vor allem der Potsdamer Straße; Vorschläge zum Umgang mit dem Verkehr auf dem Kulturforum.“

Die Wettbewerbssieger haben erklärt, wie wichtig ihnen die jetzt anstehende Bearbeitungsphase ist. Sie haben die Qualität und die Erfahrung, diese Phase gemeinsam mit den Berliner Verantwortlichen so zu nutzen, dass Forderungen vom Oktober 2015 nun Eingang finden können in eine Planung, die Bestand hat.

Vier ausgewählte Beispiele als Belege für die Unabdingbarkeit einer Planungsänderung des Siegerentwurfs in städtebaulicher Hinsicht:

Die beiden sich kreuzenden Passagen durch das vorgeschlagene Gebäude müssen erst noch zu einem glaubhaften Angebot öffentlichen Raumes werden. Der Nutzer darf sie nicht irgendwann aus betrieblichen oder kuratorischen Gründen für die permanente öffentliche Durchwegung schließen müssen. Auch müssen ihre Anschlüsse an den umgebenden Freiraum plausibler platziert werden.

Der prämierte Entwurf erfordert zwingend die Verschiebung der Potsdamer Straße nach Osten und ihre Verschmälerung und Neugestaltung. Dass im Wettbewerbs-entwurf die Nordwestecke des Gebäudes sich der Kurve der Potsdamer Straße anschmiegt, stößt einen geradezu darauf, dass die Überarbeitung und das ohnehin anstehende Bebauungsplanverfahren sich unabweisbar auf die Zukunft der Potsdamer Straße erstrecken müssen, bevor alles zu spät ist. Ein Museumsgebäude dieser Größe, Bedeutung und zu erhoffender Lebensdauer kann seine äußere Kontur nicht aus dem Verlauf einer Straßentrasse beziehen, die einmal unter heute hinfälligen Voraussetzungen (dem Vorrang des Autoverkehrs) festgelegt wurde.

Das krasse Missverhältnis des Raums zwischen dem geplanten Baukörper und der Staatsbibliothek und den in den anderen Himmelsrichtungen anschließenden Räumen zeigt die Notwendigkeit, sich auch mit dem Vorfeld der Staatsbibliothek und deren Rolle im Kulturforum auseinanderzusetzen. Gerade der neue Senat sollte den Mut dazu aufbringen.

Die St.-Matthäuskirche von Stüler beansprucht von dem Neubau dieselbe Aufmerksamkeit, die ihr durch alle Wettbewerbs- und Gutachterverfahren, denen das Kultur-forum in den vergangenen Jahrzehnten unterzogen wurde, stets gesichert war. Sie ist neben der Philharmonie, der Staatsbibliothek und der Nationalgalerie eine vierte Ikone der Baukunst am Kulturforum und ein Angelpunkt in seinem stadträumlichen Gefüge. Scharoun setzte sie in eine klare städtebauliche Beziehung zur Philharmonie und zur Staatsbibliothek und besonders Mies van der Rohe zu seiner Nationalgalerie. Als Appendix eines großen Museumsbaus dagegen büßt die Kirche nicht nur ihren architektonischen Rang und ihre städtebauliche Rolle für die umgebenden Bauten ein. Die Kirche würde auch geschädigt als eigenständiger Akteur in dem breiten kulturellen Spektrum, das gerade die Stärke und Bedeutung des Forums ausmacht. Das Gewicht der anderen Kultursparten gegenüber den Kunstmuseen stadträumlich oder architektonisch sichtbar zu schwächen, wäre ein folgenreicher kulturpolitischer Fehler.“

Leonie Baumann, Dr. Volker Hassemer, Prof.-Dr. Wolf-Dieter Heilmeyer, Barbara Hoidn, Friedemann Kunst, Pfarrer Christhard-Georg Neubert, Prof. Dietrich Neumann, Andreas Richter, Bernhard Schneider, Prof. Dr. h.c. Wilfried Wang, Prof. Dr. Conrad Wiedemann

Initiative Kulturforum / Kulturbaustelle bei der Stiftung Zukunft Berlin, Dezember 2016 | www.stiftungzukunftberlin.eu